STANDARD: Als Notenbank-Gouverneur sind Sie gleichsam per definitionem polyglott. Was sagen Sie zu den politischen Entwicklungen, vor allem in den USA?

Nowotny: Für die USA, für Europa und die Welt ist das sehr gefährlich. Wenn im größten und wichtigsten Land der Welt eine solch erratische Politik gemacht wird, ist das ein massiver Unruheherd. Gegenüber der EU gibt es seitens der USA sogar eine ausdrückliche Feindschaft, weil Trump die Stärke der USA in bilateralen Verhandlungen ausspielen will und jeder potenzielle Gegenspieler von ihm angegriffen wird. Gerade in dieser Situation wäre ein starkes Europa besonders wichtig als Gegengewicht zu den USA und Trumps erratischer Politik.

STANDARD: Die EU ist aber gerade nicht sehr stark.

Nowotny: Ja, gerade heuer haben wir leider eine Fülle an politischen Problemen: Wahlen in Deutschland und Frankreich, Brexit, neuerlich eine Griechenland-Diskussion. Europa steht also vor einer großen Herausforderung.

STANDARD: Wie soll sich die EU gegenüber den USA positionieren?

Nowotny: Die europäische Politik sollte sich nicht in unrealistischen Zukunftsträumen verlieren. Europa braucht vielmehr eine Konsolidierungsphase. Europa soll die Dinge, die es hat und kann, mit Leben erfüllen und stärken – alle Planungen, für die Vertragsänderungen nötig sind, sind derzeit unrealistisch. Auch im Bankenbereich sollten wir die existierenden Regelungen wirken lassen und nicht immer wieder Neues entwickeln. Nicht zuletzt, damit die Menschen sehen, dass Europa ein zuverlässiger und berechenbarer Partner ist. Das wird umso wichtiger, je unzuverlässiger und unberechenbarer die Vereinigten Staaten werden.

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Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny meint, dass die EU Griechenland ohne US-Hilfe retten soll.
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STANDARD: Welche Stärken muss die EU ausbauen?

Nowotny: Im Binnenmarkt zum Beispiel müssten die immer noch vorhandenen unterschiedlichen Normen beseitigt werden. Und man sollte die Europäische Union in ihrer Funktion als politischen Akteur nutzen. Wir müssen europäische Positionen klar vertreten, konkret etwa in der Russland-Frage. Andernfalls überlassen wir den USA den Aufbau eines Verhältnisses zu Russland, das eine Anti-EU-Politik ermöglicht.

STANDARD: Sie fürchten, dass sich USA und Russland gegen die EU verbünden?

Nowotny: Verbünden ist zu viel gesagt. Wir brauchen jedenfalls ein vernünftiges Verhältnis zu Russland. Ich halte auch das Herumagieren der EU bei der Nord-Stream-Pipeline (transportiert russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland, Anm.) für extrem problematisch, die Pipeline ist meiner Auffassung nach doch im Interesse der Energiepolitik der Europäischen Union.

STANDARD: Sind Sie für die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland?

Nowotny: Die Sanktionen sind weitgehend unwirksam, haben hauptsächlich psychologischen Effekt. Wir dürfen nicht in die Gefahr geraten, dass Europa in Isolation gerät, während die USA ihre Beziehungen zu Russland normalisieren. Sanktionen sind nur dort sinnvoll, wo sie militärische Güter betreffen – bei allem anderen sollte man flexibel sein. Die Sanktionen sind die Folge des Ukraine- und Krim-Konflikts – und für den gilt es, eine tragfähige Lösung zu finden. Aber da müssen wir auch anerkennen, dass Russland für seine Nachbarschaft Interessen hat, genauso, wie das auch die EU für ihre Nachbarschaft hat. Man darf die Ukraine nicht in die Lage bringen, zwischen Russland und der EU wählen zu müssen. Sie kann wohl von Kooperationen zu beiden Seiten profitieren. Nur dann kann es eine Deeskalation des Konflikts geben. Wobei ich schon zugebe: Auch Putin ist sehr schwer einschätzbar.

STANDARD: Die EU ist aber keine militärische Union ...

Nowotny: Aber die Frage nach einer gemeinsamen Sicherheits- und Militärkomponente für die EU stellt sich schon. Gerade die Rüstungsindustrie in Europa ist enorm zersplittert, da würden gesamteuropäische Projekte schon Sinn machen, ähnlich wie bei Airbus in der Luftfahrt – aber dafür müsste es, wie bei Airbus, auch öffentliche Unterstützung und Inanspruchnahme geben. Ideologische Angst vor dem Wirken des Staates kann zu einer Schwächung Europas führen.

STANDARD: Die EU soll aufrüsten?

Nowotny: Die Aufrüstung der EU wird in einer Welt der steigenden Unsicherheit unvermeidlich sein. Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft, die per definitionem Grenzen hat – und die wird man schützen müssen.

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"Griechenland ist ein europäisches Problem, und Europa wird es lösen. Ich fürchte, da wird von Politikern bewusst ein Krisenszenario heraufbeschworen, dessen Lösung ungewiss ist."
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STANDARD: Sie sprachen vorhin von Griechenland. Da wird wieder mit dem Grexit gezündelt, manche wollen, dass EU und Währungsfonds bei der Hilfe für Athen nur gemeinsam agieren. Wie sehen Sie das?

Nowotny: Die Positionen klaffen auseinander, ich verstehe nicht, warum man auf EU-Ebene darauf beharrt, dass der Währungsfonds an Bord ist. Das wäre nur eine zusätzliche Komplikation, die zur inhaltlichen Lösung des Problems nichts beiträgt; dafür gibt es weder eine ökonomische noch eine politische Begründung. Griechenland ist ein europäisches Problem, und Europa wird es lösen. Ich fürchte, da wird von Politikern bewusst ein Krisenszenario heraufbeschworen, dessen Lösung ungewiss ist. Denn wir kennen die Rolle des Währungsfonds unter dem Einfluss von Trumps USA nicht.

STANDARD: Sie meinen deutsche Politiker?

Nowotny: Mir fällt nur auf, dass es bei den Wahlkämpfen in Europa von manchen Seiten eine Anti-EU- und Anti-Euro-Stimmung gibt. Das beunruhigt mich. Da wird auch die Geldpolitik der EZB thematisiert – aber fast nur die realen Negativzinsen für Spareinlagen. Dabei gab es Negativzinsphasen immer wieder, und zum Beispiel Deutschland hat vom Euro sehr profitiert. Es wird leider immer wieder vergessen zu sagen, wie positiv die EU für viele ist, auch Österreich hat stark profitiert.

STANDARD: Sie sagten, die EU müsse ihre Regeln durchsetzen und nicht neue verhandeln. Das tut sie aber oft nicht, siehe Bankenabwicklung und Monte dei Paschi. Die italienische Bank soll Staatsgeld bekommen und nicht unter Einbeziehung der Gläubiger abgewickelt werden, weil kleine Sparer betroffen wären, die Anleihen der Bank gekauft hatten. Wie soll man die EU ernst nehmen, wenn sie ihre Regeln selbst aufweicht?

Nowotny: Das Prinzip, dass Banken bei Problemen nicht immer vom Staat gerettet werden müssen, halte ich für richtig. Es gibt aber bei der Abwicklungsrichtlinie mit Bail-in (Gläubigerbeteiligung, Anm.) eine Reihe von Nebenwirkungen, die im Einzelfall mitberücksichtigt werden müssen. Ein Aspekt ist, dass die Richtlinie rückwirkend gilt – also Anleihezeichner zur Kasse gebeten werden, die investiert hatten, bevor die neuen Regeln galten. Technisch war das notwendig, aber ökonomisch kann es problematisch sein. Mit dieser Regelung hat man schon einen sehr großen Schritt getan. Dazu kommt, dass es so ein Bail-in nur in Europa gibt. Wir brauchen daher eine Lernphase, in der wir flexibel und vorsichtig vorgehen, um den Übergang zu schaffen.

STANDARD: Schafft nicht genau das Unsicherheit? Keiner weiß, welche Bank man mit Gläubigerbeteiligung abwickelt und welche man doch rettet.

Nowotny: In der Wirtschaft kann man nicht mit Automatismen arbeiten. Wir wissen, was wir erreichen wollen, haben Regeln dafür und müssen sie flexibel handhaben. Das ist die Aufgabe der Wirtschaftspolitik. Und natürlich gibt es Banken, die man abwickeln kann.

STANDARD: Auch der Stabilitätspakt gilt anscheinend nicht für alle EU-Staaten gleich. Italien etwa verstößt dagegen, Folgen hat es nicht. Ist das okay?

Nowotny: Ja, da kam es zu einer Aufweichung. Italien ist derzeit der sensibelste Bereich der EU, ein großes Land, dessen Wirtschaft seit Jahren stagniert. Da ist die fiskalische, die Budgetseite, nur ein Reflex auf die Probleme der Realwirtschaft – aber die nötigen Reformen müssen die Italiener selbst durchführen. Den Stabilitätspakt muss man trotzdem ernst nehmen und beizeiten erfüllen – denn er ist die Stützmauer der europäischen Geldpolitik.

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"Ich habe gegen nichts eine Mentalreservation."
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STANDARD: Stichwort Geldpolitik: Die Stimmen derer, die das Ende der ultralockeren EZB-Geldpolitik fordern, mehren sich. Sie meinten jüngst, die EZB werde im Juni überlegen, wie es mit den Anleihekäufen weitergeht. Ob man mit dem Abschmelzen der Käufe im Volumen von 60 Milliarden Euro im Monat beginnt. Wie schaut es da aus?

Nowotny: Das werden wir ab Mitte 2017 diskutieren. Es gibt keinen Grund, von der bestehenden Beschlusslage abzugehen.

STANDARD: Noch zu den Banken. Österreich ist auch ohne Hypo Alpe Adria overbanked, die Volksbanken fusionieren, bei Raiffeisen tun das nur RZB und RBI, die meisten Landesbanken wehren sich dagegen. Ist der Markt konsolidiert?

Nowotny: Nein, es gibt nach wie vor erheblichen Anpassungsbedarf. Österreich hat nach Deutschland die meisten Banken, knapp 750. Die Kostenertragsrelation lag 2016 im Schnitt bei 72 Prozent – in der EU war die Relation mit 66 Prozent besser. Das Problem ist, dass etwa die Ausgaben für die Regulatorien Fixkosten sind – und kleine Banken daher stärker treffen als große. Da kommen Änderungen von der EU, die dieses Problem entschärfen sollen.

STANDARD: Künftig soll auf die "Proportionalität" Rücksicht genommen werden. Sind Sie dafür?

Nowotny: Ja. Wir, also OeNB und FMA, haben uns vorgenommen, das Proportionalitätsprinzip möglichst wirkungsvoll umzusetzen, eben weil es in Österreich so viele kleine Institute gibt. Ein Beispiel: Wir wollen die kleinsten 423 Banken von der Pflicht zur Erstellung eines Abwicklungsplans ausnehmen. Betreffen wird das Institute, die in einem Haftungsverbund sind wie Spar- oder Raiffeisenkassen, und solche, für die eine Insolvenz infrage käme. Auch andere Erleichterungen kommen dazu, dafür sollten diese Banken mehr Eigenkapital vorhalten.

STANDARD: Apropos Aufsicht: Im Bericht der von Kanzler und Finanzminister eingesetzten Arbeitsgruppe Finanzmarktreform heißt es, gegen die gänzliche Zusammenlegung der Aufsicht bei FMA oder OeNB bestehe bei deren Managern eine "Mentalreservation". Haben Sie solche Vorbehalte?

Nowotny: Ich habe das mit einem gewissen Amüsement gelesen. Also, ich habe gegen nichts eine Mentalreservation. (Renate Graber, 10.2.2017)