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Ewald Nowotny: Geldpolitik allein ist ein schwacher Hebel, aber eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für wirtschaftliche Belebung.

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STANDARD: Ist der aktuelle Preisrückgang bereits ein Grund für die Europäische Zentralbank, aktiv zu werden?

Ewald Nowotny: Nein. Geldpolitisches Handeln sollte sich an mittelfristigen Perspektiven orientieren. Monatsergebnisse sind nicht ausschlaggebend. Aber die jüngsten Zahlen waren ein weiterer Hinweis darauf, dass die Inflationsperspektive im Euroraum derzeit deutlich unter den Zielen der EZB liegt. Und das ist ein Problem.

STANDARD: Warum?

Nowotny: Wir haben als EZB das primäre Ziel, die Preisstabilität zu erhalten. Erreicht ist das nach unserer Definition bei einer Inflationsrate von nicht mehr als, aber knapp bei zwei Prozent. Bei zu niedrigen Inflationsraten besteht die Gefahr, in eine Deflation abzurutschen. Die Zwei-Prozent-Marke soll dafür sorgen, dass wir Puffer haben. Das Problem für eine Notenbank ist immer, dass sich eine Inflation viel leichter bekämpfen lässt als eine Deflation. Bei extrem steigenden Preisen muss man die Zinsen hinaufsetzen. Das führt zwar zu einer Rezession, aber die Inflation lässt sich bekämpfen. Einer Deflation muss man mit niedrigeren Zinsen entgegentreten. Aber eine Notenbank kann den Gesamtrefinanzierungssatz, zu dem die Banken ihre Kredite nehmen können, nicht negativ machen. Der Spielraum der Zentralbank ist hier also viel begrenzter. Darum ist es auch so wichtig, eine Deflation gar nicht erst zuzulassen.

STANDARD: Was macht eine Deflation so gefährlich?

Nowotny: Ein Rückgang von Einzelpreisen kann positiv sein. Ein Preisrückgang quer über die gesamte Volkswirtschaft ist aber problematisch, weil das ja dazu führen kann, dass die Umsätze in einer Volkswirtschaft rückläufig sind. Rückläufige Umsätze beeinflussen das Investitionsverhalten und drücken die Einkommensentwicklung. Hinzu kommt, dass eine Deflation speziell bedeutet, dass die reale Schuldenlast und die reale Verzinsung ansteigen, was wiederrum das Wachstum drückt.

STANDARD: Ihr Exkollege, der deutsche Ökonom Jürgen Stark, ist der Meinung, in Europa werde Deflationsparanoia geschürt. Japan sei es in den vergangenen 15 Jahren nicht schlecht ergangen, trotz einer milden Deflation.

Nowotny: Ich glaube nicht, dass eine Entwicklung wie in Japan, also eine langfristige Stagnation, eine sinnvolle Perspektive für Europa wäre. In Japan hat sich das geringe Wachstum nicht in massiv höherer Arbeitslosigkeit niedergeschlagen. Denn in Japan sinkt durch die demografische Entwicklung das Arbeitskräfteangebot, und das Land hat einen geschlossenen Arbeitsmarkt. In Europa ist das völlig anders: Hier würde sich eine Phase einer langen Stagnation zu einer massiven Erhöhung der Arbeitslosigkeit führen, was wir leider jetzt schon sehen. Mit allen massiven sozialen und politischen Effekten.

STANDARD: Kann die EZB etwas gegen die Deflationsgefahr tun?

Nowotny: Geldpolitik allein ist ein schwacher Hebel, aber eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für wirtschaftliche Belebung. Das heißt konkret, ich glaube, es ist sinnvoll, geldpolitisch etwas zu machen. Im Gegensatz zu den anderen großen Notenbanken schrumpft die Bilanz der EZB derzeit, weil Banken ihre Kredite an uns tendenziell eher zurückzahlen. Wenn die Zentralbank also nichts unternimmt, käme dies de facto einer restriktiven Geldpolitik gleich. Wir sollten zumindest neutrale Effekte erzielen.

STANDARD: Diskutiert wird derzeit der Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. Damit sollen langfristige Zinsen gedrückt und die Kreditvergabe in Europa angeregt werden. Wäre so eine Aktion Ihrer Meinung nach sinnvoll?

Nowotny: Um die Geldpolitik wie erwähnt neutral zu gestalten, gibt es mehrere Möglichkeiten. Das eine sind neue Kreditprogramme für Banken. Ein solches Programm haben wir im Herbst 2014 gestartet, es wurde aber vergleichsweise schwach aufgenommen. Eine andere Möglichkeit ist, dass die EZB aktiver am Markt Wertpapiere aufkauft. Dafür sind ebenfalls gewisse Programme gestartet worden. Der dritte Schritt wäre, dass man dieses Kaufprogramm ausweitet auf andere Aktiva, also zum Beispiel auf Unternehmensanleihen und Staatsanleihen. Hier bewegt sich die aktuelle Diskussion in der EZB.

STANDARD: Eine Kritik an dem Plan lautet: Wenn die EZB griechische und italienische Staatsanleihe kauft, betreibt sie Staatenfinanzierung. Damit nimmt sie den Reformdruck von den Krisenländern.

Nowotny: Der Ankauf von Staatsanleihen ist ein traditionelles Instrument einer Notenbankpolitik. Um die Gefahren einer direkten Staatsfinanzierung zu verhindern, würde der Kauf an den entsprechenden Sekundärmärkten stattfinden, wir würden also nicht direkt von den Staaten erwerben. Umstritten ist, in welchem Ausmaß die EZB solche Käufe tätigen soll und wer das Risiko trägt. Das kann ein geteiltes Risiko über die EZB sein. Das kann aber auch ein Risiko sein, das die einzelnen Notenbanken selbst tragen. Diese Diskussion ist aber noch am Laufen.

STANDARD: Wenn die EZB sagt, sie möchte dafür sorgen, dass die Inflation in der Eurozone insgesamt steigt, werden nicht alle profitieren. In Österreich liegt die Inflation bei 1,7 Prozent. Für Österreich ist es ja widersinnig, aktiv zu werden.

Nowotny: Wir sind in Österreich sicher in einer etwas anderen Lage. Die Inflationsrate ist höher, die Arbeitslosigkeit niedriger als im Schnitt des Euroraums. Die geldpolitischen Maßnahmen müssen klarerweise für den gesamten Euroraum gelten. Es gibt aber eine starke Verflechtung zwischen allen Mitgliedstaaten. Es zeigt sich auch für Österreich, dass unsere Exporte in Länder, die in einer Stagnation feststecken, rückläufig sind.

STANDARD: Besteht aber nicht die Gefahr, dass die Inflation in Österreich durch mögliche EZB-Interventionen über die Zwei-Prozent-Marke klettert?

Nowotny: Die Entwicklung in Österreich ist durch Sondereffekte verursacht. Teilweise durch Gebührenerhöhungen, teilweise durch eine stärkere Teuerung bei Dienstleistungen. Ich glaube nicht, dass wir längerfristig mit einer höheren Inflationsrate zu rechnen haben. Im Gegenteil, die Prognosen gehen davon aus, dass die Inflationsrate 2015 zurückgeht.

STANDARD: Wo liegt eigentlich der Sinn in dem Versuch, die Kreditzinsen noch mehr zu drücken? In Österreich kommen Unternehmen schon zu rekordniedrigen Zinsen an Kredite. Auch in Spanien und Italien sind die Konditionen per se nicht so schlecht. Viele Ökonomen sagen, das eigentliche Problem liegt bei der mangelnden Kreditnachfrage.

Nowotny: Natürlich, der wirklich entscheidende Punkt ist die Nachfrageseite. Wobei es auch da verschiedene Aspekte gibt. Großunternehmen haben derzeit wahrscheinlich keine Probleme bei der Finanzierung. Anders sieht es wohl im Klein- und Mittelbereich aus. Die Maßnahmen der EZB müssen auch im Konnex mit dem Plan von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Investitionsankurbelung gesehen werden. (Der Juncker-Plan baut darauf auf, durch öffentliche Ausgaben die private Investitionstätigkeit anzustoßen. Wenn das gelingen soll, müssen interessierte Unternehmer an billige Kredite kommen, Anm.)

STANDARD: Deutschland lehnt die Staatsanleihenkäufe ab. Wie groß ist die Gefahr der Spaltung in der EZB?

Nowotny: Jeder hat ein Interesse, dass sich ein möglichst gemeinsames Vorgehen der EZB ergibt. Das gilt sowohl für EZB-Präsident Mario Draghi als auch für Präsident Jens Weidmann von der deutschen Bundesbank. Genau deshalb laufen die Gespräche derzeit noch.

STANDARD Rechnen Sie schon kommende Woche mit einer Entscheidung.

Nowotny. Ich persönlich glaube, dass es sinnvoll wäre, eher früher als später zu einer Entscheidung zu kommen. Es gibt alle möglichen Spekulationen an den Märkten, und ich glaube, eine Notenbank sollte möglichst rasch Klarheit über ihre Strategie geben. (szi, DER STANDARD, 14.1.2014)