Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank:"Bankenaufsicht sehr ernst nehmen"

Ewald Nowotny über die Grenzen der Geldpolitik, Fehler bei der Hypo Alpe Adria und warum er immer wieder an Odysseus denkt.

Interview von Katharina Wetzel

Manche Notenbanker sehnen sich nach der Zeit zurück, als ihre Arbeit noch als langweilig galt. Heute klagt auch der kleine Sparer über die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Viele sorgen sich um Brexit-Gefahren und Risiken im Finanzsystem. "Auch eine unabhängige Notenbank muss sich um Rückhalt und Vertrauen in der Bevölkerung bemühen", sagt Ewald Nowotny, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) im Gespräch.

SZ: Herr Nowotny, Sie haben einen Sohn und drei Enkelkinder. Haben Sie für diese ein Sparbuch angelegt?

Ewald Nowotny: Ja, sie haben Sparbücher, weil das langfristig ja auch bei niedrigen Zinsen Sinn macht.

Viele Sparer machen sich Sorgen, weil sie für das Alter mehr zurücklegen müssen. Banken und Pensionskassen bereitet die Niedrigzinspolitik der EZB große Probleme. Wann steigen die Zinsen wieder?

Die weltweite Niedrigzinsphase ist ja keine Willkür-Aktion der Notenbanken, sondern ist bedingt durch eine Wirtschaftsentwicklung mit niedrigen Wachstums- und Inflationsraten. Sobald die Wirtschaft wieder dynamischer wird, werden sich auch Zinsspielräume nach oben ergeben, wie die Diskussion in den USA zeigt. Es ist übrigens zu beachten, dass wir zwar niedrige Nominalzinsen haben, durch die niedrige Inflation unterscheiden sich die Realzinsen, also Nominalzinsen minus Inflation, nicht wesentlich von vielen Zeiträumen der Vergangenheit.

Trotz vieler ungewöhnlicher Maßnahmen gelingt es der EZB nicht, ihr Ziel, eine Preisstabilität von unter, aber nahe zwei Prozent, zu erreichen. Woran liegt das?

Es ist für eine Notenbank immer leichter, eine Inflation zu bekämpfen als die Gefahr einer Deflation. Es ist aber jedenfalls gelungen, einen Einbruch in eine Deflation zu verhindern. Und man muss auch hinzufügen, Geldpolitik hat ihre Grenzen, sie bedarf bei expansiver Richtung der Ergänzung durch Maßnahmen der Fiskal- und der Strukturpolitik.

Derzeit erhält die EZB Rückendeckung aus der Politik. Dennoch steht die EZB in Deutschland immer wieder in der Kritik. Bereitet Ihnen das Sorge?

Natürlich bereitet es uns Sorge, wenn die EZB in der größten Volkswirtschaft des Euro-Raums in der Kritik steht. Auch eine unabhängige Notenbank muss sich um Rückhalt und Vertrauen in der Bevölkerung bemühen. Das gilt für den gesamten Euro-Raum, natürlich auch für Deutschland.

Müsste sich die EZB auch um mehr Verständnis bemühen?

Zweifellos. Es gibt in weiten Teilen der Wissenschaft und auch der Politik einen "deutschen Sonderweg" der Diskussion, der sich etwa auch stark von der Diskussion im Internationalen Währungsfonds unterscheidet. Das sollte aber nicht überdecken, dass gerade Deutschland (wie auch Österreich) wesentlich von der Existenz der Europäischen Währungsunion profitiert. Hier wäre eine umfassende Information für die deutsche Bevölkerung sicher hilfreich.

Inzwischen wird schon spekuliert, dass die EZB Geld verschenken könnte.

Das "Helikopter-Geld" ist eine unglückliche und unnötige Diskussion. Es gibt hier ein wissenschaftliches Konzept des Monetaristen und Nobelpreisträgers Milton Friedman. Das ist aber in keiner Weise auf die praktische Geldpolitik zu übertragen. Was es in der Praxis zum Beispiel in den USA gegeben hat, waren Steuergutschriften für jeden Bürger. Das hat zu einer Konsumbelebung geführt, das war aber Fiskalpolitik. Der Gedanke des Helicopter Money ist psychologisch verheerend, weil es in keiner Weise mit dem Wirken einer Notenbank in Europa vereinbar wäre. Das wäre übrigens auch technisch nicht möglich und juristisch nicht erlaubt. In Deutschland ist das dennoch als ein Horrorszenario gezeichnet worden, um Stimmung gegen die EZB zu machen, obwohl das keine praktische Relevanz hat.

Central Bank Of Austria Governor Ewald Nowotny Speaks At The Global Economy Lecture

"Ich hoffe, dass sich letztlich die ökonomische Vernunft durchsetzt", sagt Ewald Nowotny.

(Foto: Lisi Niesner/Bloomberg)

Sie sagten kürzlich: "Der Nutzen durch die Abschaffung des 500-Euro-Scheins in der Bekämpfung der Kriminalität ist geringer als die Kosten." Warum hat sich der EZB-Rat dann dafür entschieden?

Weil die Mehrheit im Euro-Raum eine andere Geld-Tradition hat als Deutschland und Österreich. Große Denominationen spielen in den anderen Ländern nicht diese Rolle wie in diesen beiden Ländern, sie sind aber in der Öffentlichkeit mit Terrorismus und Mafia verbunden. Ich habe die Abschaffung als nicht notwendig empfunden, weil es zu einer Debatte über die Abschaffung des Bargeldes geführt hat und das will niemand. Bargeld wird sicher bleiben, die EZB gibt ja gerade eine neue Banknoten-Serie mit höheren Sicherheitsmerkmalen heraus.

Die OeNB feiert dieses Jahr Ihr 200-jähriges Bestehen. Zu den klassischen Aufgaben der Notenbanken gehört auch die Ausgabe von Banknoten. Wie verändert sich ihre Rolle?

Wir haben nach wie vor eine große Rolle in der Umsetzung der Geldpolitik. Die Käufe von Staatsanleihen kann die EZB alleine nicht bewältigen. Wir sind für Bargeld, Zahlungsverkehr zuständig und für die Finanzmarktstabilität und Bankenaufsicht im immer größeren Ausmaß verantwortlich. Alleine in diesem Bereich sind nach der Krise sehr viele neue Aufgaben dazu gekommen. Es geht einfach darum, das Finanzsystem stabiler zu machen.

Die Vereinigung European Association for Banking and Financial History (EABH) hat kürzlich in Ihrem Haus die Frage diskutiert, wie sich die Globalisierung auf die Finanzstabilität ausgewirkt hat. Sind die Herausforderungen heute in einer vernetzten Welt schwieriger?

Klar. Je vernetzter, desto schwieriger, weil Wechselwirkungen oft nicht einschätzbar sind. Daher ist es ja wichtig, die international zusammenwirkende Aufsicht zu stärken. Hier wurden auch als Lehre der Krise deutliche Verbesserungen erreicht.

Stresstests sollen zur Systemstabilität beitragen und Schwächen frühzeitig aufdecken. Werden einige Banken beim kommenden Stresstest der EZB durchfallen?

Ich kann das nicht vorwegnehmen, sehe aber keine großen Probleme auf uns zukommen.

Banken schlagen sich immer noch mit Altlasten aus der Finanzkrise herum. Meinen Sie Fälle wie die Problembank Hypo Alpe Adria würden heute früher aufgedeckt?

Ja, ich glaube schon. Hätten wir die Instrumente, die wir heute haben, damals gehabt und anwenden können, hätten wir sicher größeren Schaden verhindern können.

Die Hypo Alpe Adria hat den Steuerzahler Milliarden Euro gekostet. Welche grundlegenden Fehler wurden auf österreichischer und deutscher Seite gemacht?

Der entscheidende Fehler waren die Landeshaftungen. Das gilt für Österreich, gilt aber auch für Deutschland, bei den deutschen Landesbanken. Durch die Länderhaftungen gab es für die entsprechenden Banken billiges Geld für eine viel zu schnelle Expansion, ohne ausreichend dafür gerüstet zu sein. Das haben wir ja sehr früh kritisiert. Bei der Hypo gab es massiven politischen Einfluss, es gab zu wenig interne Aufsicht durch interne Revision, Aufsichtsrat, die Wirtschaftsprüfer und letztlich die Eigentümer. Dann glaubte man mit der Bayern-LB einen neuen und starken Eigentümer zu haben. Das war auch ein Irrtum. Ich finde es heute noch extrem problematisch, wie sich die Bayern-LB verhalten hat.

Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus? Haben die früheren Bankmanager für die Skandale ausreichend gesühnt oder sind sie viel zu gut weggekommen?

Ich bin nicht zum Richter über frühere Manager berufen, aber es hat eine Reihe von Verfahren und auch Verurteilungen gegeben. Das politische System in Kärnten, das wesentlich schuld war für diese Entwicklungen, existiert heute erfreulicher Weise nicht mehr.

Hat auch die OeNB Fehler gemacht?

Zur Person

Ewald Nowotny, 71, ist seit September 2008 Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Als Notenbankchef ist er auch Mitglied des EZB-Rats, dem Beschlussorgan der Europäischen Zentralbank (EZB). Zuvor war Nowotny unter anderem Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, SPÖ-Abgeordneter im Österreichischen Nationalrat und Generaldirektor der österreichischen Bank Bawag.

Ich selbst bin zu einem Zeitpunkt in die OeNB gekommen, wo der Schaden schon angerichtet war. Die OeNB hatte bis 2008 auch nur eingeschränkte Befugnisse in der Aufsicht. Die OeNB hat in diesem Rahmen aus meiner Sicht das jeweils Richtige getan. Viele kritische Berichte und Warnungen an das Management und den Eigentümer wurden Jahre zuvor schon ausgesandt, aber nicht gehört.

Künftig sollen Banken, die in Schieflage geraten, abgewickelt werden, ohne dass der Steuerzahler einspringen muss. Bei der Heta, der Bad Bank der Hypo Alpe Adria, wird das gerade versucht. Nun hat sich eine Lösung zwischen Gläubigern, dem Bund und Kärnten abgezeichnet, das für Heta-Papiere Garantien übernommen hatte. Der Fall ist schwierig. Es steht Steuergeld auf dem Spiel. Und der Ruf Österreichs leidet auch, oder?

Wenn Sie die Renditen der österreichischen Bundesanleihe ansehen, dann hat der Ruf der Republik Österreich als Schuldner nicht gelitten. Selbstverständlich ist eine baldige Lösung wünschenswert. Es wurde ja inzwischen ein Memorandum of Understanding zwischen den österreichischen Stellen und den wichtigsten Gläubigergruppen abgeschlossen. Ich hoffe, dass die Einigung hält, weil alles andere wäre nur ein großes Beschäftigungsprogramm für Anwälte.

Experten warnen derzeit besonders vor den Gefahren eines Brexit. Wie schlimm steht es um das Finanzsystem?

Für die Briten ist ein Austritt ökonomisch schlimmer als für den Rest Europas. Die City of London wird ihren Status verlieren und viele andere Vorteile, die heute selbstverständlich sind, müssen neu verhandelt werden. Ich hoffe, dass sich letztlich die ökonomische Vernunft durchsetzt. Für das Finanzsystem sehe ich kein Problem, weil das Szenario Brexit ja schon seit einiger Zeit im Markt diskutiert wird. Sollte es dann tatsächlich so kommen, wen sollte das noch überraschen?

Sie wurden auch schon als der "Feuerwehrmann der Nation" bezeichnet. "Ich komm' leider immer gerade rechtzeitig, wenn es irgendwo zu brennen beginnt", sagten Sie einmal. Haben Sie Angst, dass Sie mal den Brand nicht löschen können?

Das kann ein seriöser Feuerwehrmann nie völlig ausschließen. Daher geht es jetzt primär darum, vorausblickend mögliche Brandursachen zu beseitigen, mit entsprechenden Regulierungs- und Sicherungsmaßnahmen, und zum zweiten, Menschen und Gerät in bester Einsatzbereitschaft zu halten, das heißt unsere Aufgaben im Bereich Bankenaufsicht sehr ernst zu nehmen.

Ihr Lieblingsstück in Ihrer antiken Sammlung soll eine Statuette von Odysseus als Bettler sein. Warum gefällt Ihnen die Figur so gut?

Odysseus ist eben für mich eine Symbolfigur des Menschen, der gewaltige Herausforderungen mit Klugheit und Mut bewältigt und auch in schlechten Zeiten - als Bettler - seine Würde bewahrt. Klugheit und Würde klingen heute vielleicht etwas antiquiert - ich meine aber, sie sind weiterhin wichtige Leitbilder. Daran denke ich, wenn ich diese kleine antike Statuette betrachte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: