Unkonventionelle Maßnahmen

Die Umsetzung der Geldpolitik in Krisenzeiten

Die globale Finanzkrise, die im August 2007 ihren Ausgang nahm, die darauf folgende Staatsschuldenkrise im Euroraum sowie die jüngste COVID-19 Krise erforderten weitreichende wirtschaftspolitische Antworten, auch im Bereich der Geldpolitik. Das Eurosystem ergriff eine Reihe von unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen, um die wirksame Übertragung der geldpolitischen Entscheidungen auf das Finanzsystem, die Wirtschaft und die Preisentwicklung zu unterstützen. Seither gehören auch diese Sondermaßnahmen zum Instrumentenkasten des Eurosystems.

Der Begriff Sondermaßnahmen (oder unkonventionelle Maßnahmen) wird verwendet, weil diese Maßnahmen von der bis ins Jahr 2007 üblichen Praxis abweichen. Sie wurden notwendig, weil die Zinsbeschlüsse des EZB-Rats nicht mehr in gewohnter Weise an die Gesamtwirtschaft weitergegeben wurden und, weil nach erheblichen Leitzinssenkungen der Spielraum für weitere Zinssenkungen weitgehend aufgebraucht war. Alle seit dem Jahr 2007 ergriffenen Maßnahmen bewegen sich innerhalb des gesetzlichen Handlungsrahmens, der bereits vor dem Jahr 2007 gültig war. Wichtig ist zudem, dass diese unkonventionellen Maßnahmen das gleiche Ziel verfolgen wie konventionelle Geldpolitik. Das Eurosystem strebt Preisstabilität in der Form einer Inflationsrate von mittelfristig 2 % an.

Auch ohne unkonventionelle Maßnahmen bietet das geldpolitische Instrumentarium des Eurosystems eine Reihe von Mechanismen, die eventuell auftretenden Spannungen im Finanzsektor entgegenwirken. Zum Beispiel:

  • Die Zulassung einer großen Zahl von Geschäftspartnern gibt vielen Banken direkten Zugang zur Zentralbank, falls der Interbankenmarkt nicht wie gewohnt funktioniert.
  • Eine breite Definition der notenbankfähigen Sicherheiten erleichtert Banken die Refinanzierung beim Eurosystem.
  • Die Spitzenrefinanzierungsfazilität erlaubt kurzfristigen Zugang zu Zentralbankliquidität gegen notenbankfähige Sicherheiten auch außerhalb des Interbankenmarkts.

Geldpolitische Sondermaßnahmen in Reaktion auf die große Finanzkrise bzw. die Staatsschuldenkrise im Euroraum

Diese Sondermaßnahmen haben die stabilisierende Funktion der konventionellen geldpolitischen Instrumente verstärkt bzw. auf Finanzmärkte abseits des Geldmarktes ausgedehnt.

Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen:

  • Längere Laufzeiten bei liquiditätszuführenden Geschäften
    Laufzeiten von zwischenzeitlich bis zu vier Jahren erleichterten die Refinanzierung der Banken und erlaubten längerfristige Planung und Kreditvergabe.
  • Änderung im Zuteilungsmodus
    Seit Oktober 2008 werden Refinanzierungsgeschäfte mit Fixzinssatz und voller Zuteilung durchgeführt. Dies gibt den Banken die Möglichkeit, sich gegen ausreichende Sicherheiten unbegrenzt refinanzieren zu können.
  • Sicherheitenerfordernisse:
    Während der Finanzkrise wurde das Verzeichnis der für die Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems zugelassenen Sicherheiten erweitert. Die Banken können dadurch einen größeren Teil ihrer Aktiva zur Aufnahme von Zentralbankliquidität nutzen.
  • Geldpolitische Zinsen unter null
    Während der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte im Zeitraum 2008/09 sowie 2011 bis 2016 schrittweise verringert wurde bis er im März 2016 ein Niveau von 0 % erreichte, wurde der Zinssatz für die Einlagefazilität auch noch im Jahr 2019 auf bis zu –0,5 % gesenkt. Auf Grund der bestehenden hohen Überschussliquidität orientierten sich die Geldmarktzinsen zu dieser Zeit am unteren Ende des Leitzinskorridors und die Geldmarktzinsen wurden ebenfalls auf –0,5 % gedrückt. Dies verbilligte die Refinanzierung der Banken, die diese Kostenvorteile an ihre Kund:innen in Form von günstigeren Kreditzinsen weitergaben.
  • Gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte
    Seit September 2014 werden gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte mit besonders günstigen Konditionen (z. B. einem Zinssatz unter dem Satz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte) angeboten, wobei die günstigeren Zinsen an Bedingungen hinsichtlich der Kreditvergabe an Kund:innen geknüpft ist.
  • Währungsswaps
    Seit dem Jahr 2007 bietet die EZB im Euroraum angesiedelten Banken nicht nur Liquidität in Euro, sondern immer wieder auch in Fremdwährungen – wie zum Beispiel in US-Dollar oder in Schweizer Franken – an.  
    Seit dem Jahr 2011 existiert zwischen der Bank of England, der Bank of Canada, der Bank of Japan, der Federal Reserve, der Schweizerischen Nationalbank und der EZB ein Netzwerk von Währungsswap-Linien, über die die teilnehmenden Zentralbanken Währungen voneinander erhalten können. Im Jahr 2013 hat die EZB zudem ein Währungsswap-Abkommen mit China geschlossen. Diese Währungstäusche wurden in der Finanzkrise zu einem wichtigen Instrument, um die Finanzstabilität zu erhalten und zu verhindern, dass Marktspannungen die Realwirtschaft beeinträchtigen.
  • Ankauf von Staatsanleihen, um deren Risikoprämien zu reduzieren
    Das Programm für die Wertpapiermärkte (SMP) wurde im Mai 2010 in Reaktion auf Spannungen in einigen Finanzmarktsegmenten, insbesondere an den Märkten für Staatsanleihen des Euro-Währungsgebiets, eingeführt. Im Herbst 2012 wurde es von den sogenannten geldpolitischen Outright-Geschäften (OMT) abgelöst, mit denen gezielt Märkte für Staatsanleihen von Ländern (durch Käufe auf Sekundärmärkten) unterstützt werden können, die bestimmten Programmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterliegen.
  • Wertpapierankaufprogramme
    Zwischen 2009 und 2022 hatten drei Programme zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (Covered Bonds Purchase Programme, CBPP 1-3) bzw. zwischen 2014 und 2022 eines zum Ankauf verbriefter Kreditforderungen (Asset-Backed Securities Purchase Programme, ABSPP) das Ziel, diese für die Banken in Europa wichtigen Refinanzierungsmärkte wiederzubeleben bzw. zu unterstützen. Im Rahmen des ABSPP kaufte das Eurosystem ein breites Portfolio an einfachen und transparenten verbrieften Forderungspapieren (ABS), die aus Kreditforderungen gegenüber dem nicht-finanziellen privaten Sektor im Euroraum bestehen. Im Rahmen des CBPP3 wurde ein breites Portfolio an in Euro denominierten gedeckten Schuldverschreibungen gekauft, die von im Euroraum ansässigen Banken begeben wurden.
    Zwischen 2015 und 2022 wurden diese beiden Programme um das Programm zum Ankauf öffentlicher Wertpapiere (Public Sector Purchase Programme, PSPP) erweitert, um dem Abwärtstrend in den Inflationserwartungen entgegenzuwirken. Im Juni 2016 wurde ein weiteres Teilprogramm, nämlich das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme, CSPP) hinzugefügt. In dessen Rahmen wurden Anleihen von privaten Unternehmen gekauft, um damit direkt Einfluss auf deren Refinanzierungsbedingungen zu nehmen.
    Zwischen 2015 und 2022 wurden die vier Teilprogramme CBPP3, ABSPP, PSPP und CSPP zu einem gemeinsamen Programm, nämlich dem Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) zusammengefasst. Für alle Teilprogramme galt, dass nur Wertpapiere vom Eurosystem erworben wurden, die gewisse Mindestqualitätsanforderungen erfüllten.
  • Forward Guidance
    Seit seiner Pressekonferenz im Juli 2013 gab der EZB-Rat immer wieder Hinweise über den zukünftigen Verlauf der Geldpolitik.  Auf diese Weise kann er Einfluss auf die Leitzinserwartungen über einen längeren Horizont nehmen und dadurch nicht nur die sehr kurzfristigen Geldmarktzinsen, sondern auch jene mit etwas längeren Fristigkeiten steuern.
  • Zweistufiges System für die Verzinsung der Reserveguthaben
    Zwischen 2014 und 2022 bezahlten Banken für Überschussliquidität, die sie auf Konten des Eurosystems hielten, den Zinssatz auf die Einlagefazilität. Um diese Kosten für die Banken zu reduzieren, wurde zwischen September 2019 und September 2022 das zweistufige System für die Überschussliquidität eingeführt, das einen Teil dieser Liquidität vom negativen Zinssatz befreite.

Geldpolitische Sondermaßnahmen in Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie

In Reaktion auf die Corona-Pandemie, die sich im März 2020 auf beinahe alle Länder der Erde ausbreitete und zu schwerwiegenden Verlusten an Menschenleben und an Wirtschaftskraft führte, galt es erneut mit sämtlichen Instrumenten der Wirtschaftspolitik abfedernd einzugreifen.

Die Geldpolitik griff dabei auf ihren bestehenden Instrumentenkasten (wie oben beschrieben) zurück, erweiterte diesen jedoch und lockerte die Konditionen der bestehenden unkonventionellen Maßnahmen:

  • Um unmittelbar Liquiditätsunterstützung für Banken zur Verfügung zu stellen, wurden im Frühjahr 2020 vorübergehend zusätzliche langfristige Refinanzierungsgeschäfte (LRG) durchgeführt. Zudem wurden längerfristige Pandemie-Notfallrefinanzierungsgeschäfte (PELTROs) eingeführt, die in den Jahren 2020 und 2021 Liquidität zu einem Zinssatz unter dem Hauptrefinanzierungssatz und ohne Konditionen zur Verfügung stellen.
  • Die Konditionen der bereits bestehenden Fazilität gezielter längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte wurden für den Zeitraum von Juni 2020 bis Juni 2022 deutlich günstiger gestaltet. Diese Geschäfte stützten die Kreditvergabe an jene, die am stärksten von der Ausbreitung des Coronavirus betroffen waren, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen.
  • Das Verzeichnis der für die Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems zugelassenen Sicherheiten wurde erneut erweitert. Insbesondere wurde der Rahmen für zusätzliche Kreditforderungen (Additional Credit Claims, ACC) auf Unternehmenskredite (auch sehr kleine Kredite) ausgeweitet.
  • Das seit dem Jahr 2011 bestehende Netzwerk von Währungsswap-Linien wurde reaktiviert und das Eurosystem bot Banken im Euroraum US-Dollar Liquidität an. Dieses Angebot gilt so lange, wie es für das reibungslose Funktionieren der Refinanzierungsmärkte in US-Dollar notwendig ist.
  • Weiter wurde der Rahmen des bestehenden Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) vorübergehend bis Ende des Jahres 2020 um zusätzliche Nettoankäufe in Höhe von 120 Mrd EUR erweitert, um in Zeiten erhöhter Unsicherheit günstige Finanzierungsbedingungen für die Realwirtschaft zu unterstützen.
  • Schließlich wurde das Pandemie-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP) ins Leben gerufen, in dessen Rahmen zwischen März 2020 und März 2022 Wertpapiere im Ausmaß von 1.718 Mrd EUR angekauft wurden. Das PEPP umfasste alle Kategorien von Vermögenswerten, die auch im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) zugelassen waren. Mit PEPP wurde den Risiken entgegengewirkt, die der Ausbruch des Coronavirus für den geldpolitischen Transmissionsmechanismus und die Aussichten des Euroraums darstellten.