I/3 Generalversammlung

Die Kompetenz und Funktion des „Bankausschusses“ (siehe I/02), in welchem die Gesamtheit der Aktionäre der privilegirten oesterreichischen National-Bank vertreten war, übernahm nach den neuen Statuten von Ende 1862 die „Generalversammlung“. Obwohl dieses Gremium im Laufe der Zeit manchem Wandel unterlag, so hatte dieses bis zum heutigen Tag, mit Ausnahme der Einverleibung der OeNB in den Verband der Deutschen Reichsbank zwischen 1938 und 1945, durchgehenden Bestand.

Die Kompetenz der Generalversammlung umfasst(e) im Wesentlichen (gewisse Einschränkungen ergaben sich hierbei durch die Einbindung der OeNB in das Europäische System der Zentralbanken „ESZB“ mit 1. Januar 1999):

  • Die Genehmigung der Rechnungsabschlüsse (Bilanzen);
  • Die Beschlussfassung über die Gewinnverteilung;
  • Die Wahl der Bankdirektoren bzw. ab 1878 der Mitglieder des Generalrates;
  • Die Beschlussfassung über beantragte Statutenänderungen sowie
  • über die Auflösung oder den Fortbestand der Bankgesellschaft.

Gemäß den Statuten von 1862 waren jene Aktionäre Mitglieder der Generalversammlung der privilegirten oesterreichischen National-Bank, welche je zwanzig auf ihren Namen lautende, vor dem Juli desselben Jahres datierte Aktien im November vor der Jahresversammlung oder acht Tage vor einer außerordentlichen Versammlung deponiert hatten oder aber dieselben vinkulieren ließen (§§ 33).

Wie schon zuvor beim Bankausschuss fanden die regelmäßigen Versammlungen dieser Körperschaft alljährlich einmal im Januar in Wien statt. Zur Beschlussfähigkeit der Generalversammlung war die Anwesenheit von 50 Aktionären erforderlich. Außerordentliche Versammlungen konnten von der Bankdirektion oder aber auch durch schriftliches Verlangen von zumindest 40 Mitgliedern (§§ 35 der Statuten vom 1862) einberufen werden.

Durch das Gesetz vom 27. Juni 1878 „betreffend die Errichtung und das Privilegium der Oesterreichisch-ungarischen Bank“ (RGBl. Nr.66 / 1878) erfolgte eine wesentliche Umwandlung des Noteninstituts, was auch bei der Generalversammlung Änderungen zur Folge hatte. Am 30. September 1878 fand die konstituierende Generalversammlung statt, auf deren Tagesordnung lediglich die Wahl der Generalräte und der Rechnungsrevisoren stand. Neben dem Generalrat repräsentierte die Generalversammlung die Einheit der neuen Bankverwaltung.

Die regelmäßigen Jahressitzungen wurden zunächst immer in Wien, unter dem Vorsitz des Gouverneurs oder eines Vizegouverneurs, abgehalten. Bei Anwesenheit von zumindest 100 Aktionären war eine solche Versammlung auch beschlussfähig. Nach den Bestimmungen des dritten Privilegiums der Oesterreichisch-ungarischen Bank von 1899 hatten hinkünftig diese Sitzungen in Wien oder Budapest stattzufinden, je nachdem die Mehrheit der Mitglieder der Generalversammlung aus österreichischen oder ungarischen Staatsangehörigen bestand (Art. 23). Die Einberufung von außerordentlichen Sitzungen erfolgte in ähnlicher Weise wie vor 1878.
Nach dem Ersten Weltkrieg musste aufgrund der Bestimmungen des Friedensvertrages von St. Germain von 1919 die Oesterreichisch-ungarische Bank in Liquidation treten. So erfolgte schließlich am 14. Juli 1921 die letzte ordentliche Generalversammlung der Oesterreichisch-ungarischen Bank.
 

Aufgrund des am 14. November 1922 im Nationalrat beschlossenen Nationalbankgesetzes(BGBl. Nr. 823) konnte an die Gründung der „Oesterreichischen Nationalbank“(OeNB) geschritten werden. Gemäß den in diesem Gesetz festgesetzten Satzungen hatte das Aktienkapital der Bank 30 Millionen Goldkronen zu betragen, geteilt in 300.000 Aktien á 100 Goldkronen.

Zusammensetzung und Agenden der Generalversammlung der Oesterreichischen Nationalbank waren im III. Titel, Artikel 10 bis 23, der Banksatzungen von 1922 geregelt. Nur Aktionäre „im Vollgenuss der bürgerlichen Rechte“, welche mindestens 25 Aktien bis Juli des der jeweiligen Jahressitzung vorangegangenen Jahres bei der Bank hinterlegt hatten, konnten Mitglieder der Generalversammlung sein. Die Generalversammlung galt dann als beschlussfähig, wenn hundert Mitglieder ohne Rücksicht auf die von ihnen ausgeübte Stimmenanzahl anwesend oder durch Bevollmächtigte vertreten waren (Art. 17).Am 22. Dezember 1922 fand die konstituierende Generalversammlung der OeNB statt.

Nach dem „Intermezzo“ als Bestandteil der Deutschen Reichsbank zwischen 1938 und 1945 konnte die OeNB im April 1945 ihre Tätigkeit wiederaufnehmen. Allerdings war die Nationalbank in ihrer damaligen Verfassung nicht in der Lage, den Bestimmungen der Satzungen von 1922 in allen Belangen zu entsprechen. Daher war eine neue, vorläufige Rechtsgrundlage notwendig, die diese Situation berücksichtigte. Diese gewährleisteten die Bestimmungen des Notenbank-Überleitungsgesetzes vom 3. Juli 1945.

Eine darin festgehaltene Neuregelung betraf die Generalversammlung. Es gab sie vorläufig nicht mehr! Den Grund für diese einschneidende Maßnahme erläuterte der damalige Generaldirektor-Stellvertreter Dr. Bartsch anlässlich der 11. Sitzung des Beirates der OeNB am 24. Juli 1945. In seinem Bericht gab er an, dass die österreichische Notenbank nach dem Umbruch von 1938 auch ihres gesamten Aktienkapitals verlustig gegangen war, wodurch sich nach der Befreiung 1945 folgende Situation ergab:“ Wir haben derzeit kein Aktienkapital, daher gibt es auch keine Aktionäre und keine Generalversammlung.“

Gemäß den alten Statuten standen der Generalversammlung aber wichtige Befugnisse zu. Diese Befugnisse wurden nun aber (vorläufig) durch Bestimmungen des Notenbank-Überleitungsgesetzes anderen Faktoren übertragen. Zum Beispiel wurden die Generalräte nicht mehr von der Generalversammlung gewählt, sondern über Vorschlag der Staatsregierung vom Staatskanzler ernannt, usw.

Das gesetzliche Provisorium hatte dann für gut zehn Jahre Bestand. Erst durch das Bundesgesetz vom 8. September 1955 zur Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Oesterreichischen Nationalbank („Nationalbankgesetz 1955“ - BGBl. Nr. 184 / 1955) wurde dieser Zustand beendet. Neue Satzungen betreffend Grundkapital und Aktionäre der Nationalbank waren ebenfalls Teil dieses Gesetzes.

Wie bis 1938 war die Nationalbank wieder eine Aktiengesellschaft, wobei aber nunmehr die Hälfte des Grundkapitals der Bund zeichnete (Artikel II, § 9, Absatz 2). Außerdem bestimmte die Bundesregierung, welche Personen und Unternehmen zur Zeichnung des restlichen Aktienkapitals der Bank zugelassen waren (Artikel II, § 9, Absatz 3). Das Grundkapital der Bank betrug gemäß den neuen Satzungen 150 Millionen Schilling, unterteilt in 150.000 Namensaktien á 1000 Schilling. Es konnten auch Sammelstücke zu 100, 500 und 1000 Aktien ausgegeben werden (Artikel II, § 8).

Im besagten Gesetz fanden sich schließlich unter Artikel III, §§ 10 bis 19, Bestimmungen über Zusammensetzung, Funktion und Aufgaben der Generalversammlung der OeNB. Gemäß § 11 war jeder Aktionär zur Teilnahme an der Generalversammlung berechtigt, der am Tag der Kundmachung der Einberufung mit mindestens hundert Aktien (ist laut § 12 eine Stimme in der Generalversammlung) im Aktienbuch eingetragen war. Beschlussfähig war dieses Gremium dann, wenn die anwesenden oder deren Bevollmächtigte mindestens die Hälfte des Grundkapitals vertraten (§ 13).

Auf Basis der vorerwähnten neuen Bestimmungen hielt die OeNB am 14. Dezember 1955, nach einer Pause von mehr als 17 Jahren, wieder eine – zunächst außerordentliche – Generalversammlung ab. Der Zyklus jährlich stattfindender ordentlicher Generalversammlungen wurde schließlich im übernächsten Jahr eröffnet: mit der ersten regelmäßigen Generalversammlung der Aktionäre der OeNB am 17. April 1957.

Im Unterschied zum Generalrat erfuhr die Generalversammlung hinsichtlich ihrer Bedeutung und Kompetenzen durch die Nationalbankgesetz-Novelle 1998 (BGBl. I Nr. 60 / 1998) keine einschneidenden Änderungen. In der derzeit geltenden Fassung des Nationalbankgesetzes beträgt das Grundkapital der OeNB zwölf Millionen Euro und ist in 150.000 Stück Aktien geteilt. Alleinaktionär der OeNB ist der Bund.