Der nie realisierte Bankpalast an der Alserstraße
Leopold Bauer sah einer glänzenden Zukunft entgegen. 1911 hatte er soeben den Architekturwettbewerb für das damals prestigeträchtigste Bauprojekt Wiens gewonnen. Die Oesterreichisch-ungarische Bank (OeUB) beabsichtigte auf den Gründen der Alserkaserne ihr neues Domizil, einen Bankpalast mit angeschlossenem Druckereigebäude, errichten zu lassen. Zum Wettbewerb hatte die OeUB einen der damals erfolgreichsten Architekten, Otto Wagner, dezidiert nicht eingeladen, da sein moderner, schlichter Stil nicht dem Geschmack der nach Repräsentation strebenden Notenbank entsprach. Auf Bauer fiel die Wahl, da er als ehemaliger Schüler Wagners zwar die Fachkompetenz mitbrachte, sich aber stilistisch von der Moderne wieder entfernt hatte. In den nächsten Jahren sollten sich die Ambitionen der Notenbank, des Architekten und der Stadt Wien rund um eine herausragende Wirkung des neuen Bankpalastes gegenseitig beflügeln.
Der Übersiedlung der OeUB vom ersten in den neunten Bezirk ging ihr langes, mühevolles Streben nach räumlicher Expansion in der Innenstadt voraus. Die Notenbank war aus Raumnot bereits um 1900 auf einige Häuser rund um ihr Hauptgebäude, dem Palais Ferstel, verteilt. Idealerweise wollte sie nun auch das Nachbarhaus, das Palais Harrach, dazugewinnen. Doch die wiederholten Kaufanfragen an Graf Harrach scheiterten. In einem erbosten Brief teilte er letztlich mit, dass er bitte, ihn in „Zukunft mit ähnlichen Anfragen gefälligst verschonen zu wollen“. In dieser Situation kam die Gemeinde Wien auf die Bank zu und bot das freiwerdende Gelände der zu demolierenden Kaserne an der Alserstraße an, welches die OeUB dann 1909 ankaufte. Für die Notenbank war dies vorerst eine nachteilige Standortwahl, musste sie doch damit als „Bank der Banken“ das exklusive Bankenviertel in der Innenstadt verlassen. Als Ausgleich für einen Sitz jenseits der Ringstraße plante die OeUB daher ein monumentales Hauptgebäude, um aus dem örtlichen Stadtbild „hervorzutreten“.
Das passte zu den Plänen der Gemeinde Wien, die für das Viertel rund um die Kaserne am Alsergrund bereits seit einiger Zeit Großes vorhatte. Bereits 1907 war eine komplette Umgestaltung des Geländes zwischen Alserstraße, Garnisongasse, Rotenhausgasse und Spitalgasse vorgesehen. Um neue Baugründe und großzügige Straßen anlegen zu können, sollte der gesamte Gebäudekomplex des „Alten AKH“ abgetragen werden. Laut Stadtbauamt sollte auch das Landesgerichtsgebäude „fallen“. Damit hätten „schöne, vornehme Boulevards“ die Bank umgeben und wäre die monumentale Ausgestaltung des Bankpalastes noch besser zur Geltung gekommen – was der Bankleitung sehr entgegengekommen wäre.
Aus einem Schreiben des Stadtbauamtes an die Bankleitung 1912 geht hervor, was dieses Viertel rund um den neuen Standort der Notenbank zusätzlich aufgewertet hätte: der Bau einer „Untergrund-Schnellbahn“, auch „Unterpflasterbahn“ genannt, direkt unter der Alserstraße mit einer Station vor dem geplanten Haupteingang des Notenbankgebäudes.
Die Vorgaben der OeUB an die Architekten anlässlich des Wettbewerbs 1911 lauteten: „Die Gebäude sollen eine ihrer Bestimmung entsprechende, ruhig-vornehme, monumentale Ausbildung erhalten … und mit allem Komfort und allen Errungenschaften der modernen Technik ausgestattet werden.“ Möglichst viel Tageslicht in den Räumen und eine übersichtliche Anordnung der Abteilungen mit kurzen Wegen dazwischen waren der Bankleitung ebenso wichtig wie eine bis in die oberen Stockwerke führende Prunkstiege im Bankpalais. Vorgesehen waren auch ein öffentliches Postamt, sowie – für heutige Begriffe ein sehr umweltfreundlicher Gedanke – zwei Fahrradabstellräume („Bicyclestände“) bei den Haupteingängen.
Im Wettbewerb überzeugten Leopold Bauers Entwürfe besonders durch ihre klare Anordnung der Räume, deren guter Belichtung und ein „mit Geschmack ausgebildetes Foyer“. Einzig die so sehr gewünschte „monumentale Wirkung“ konnte ein Konkurrent besser erfüllen, da er dem Bankgebäude einen Turm aufsetzen wollte. Diese Idee griff die Bankleitung auf, denn wenn der Turm nicht bloß Dekorationsobjekt wäre, sondern „nach amerikanischer Art“ zu Bürozwecken genützt werden könnte, würde man zusätzlich Fläche gewinnen. Mit einem Turm käme der Bankpalast auf 15 Stock-werke und das leidige Platzproblem wollte man so für die nächsten 100 Jahre lösen. So entwarf Leopold Bauer in den folgenden Jahren einige Turm-Varianten, die mit einer Höhe von an die 100 Meter der Votivkirche nahegekommen wären. Der Bankpalast wäre somit der damals höchste profane Bau Wiens geworden.
Auch zur Fassadengestaltung des Bankpalastes fertigte Bauer einige Varianten an. Unter anderem sah er vor, dass im Dachgeschoss oberhalb des Haupteinganges an der Alserstraße (das Niveau unseres heutigen achten Stocks), direkt unterhalb des Turms, ein „Terrassen-Dachgarten“ mit „Wandelgang“ und „Restaurations-Terrasse“ errichtet worden wäre.
Um von den Raumkonzepten anderer Notenbanken zu lernen, besuchte Architekt Bauer 1912 die „Nationalbank in Brüssel“. Er kehrte mit der Überzeugung zurück, dass die von der OeUB vorgegebenen 18 Kassenschalter deutlich zu wenig seien, um dem prosperierenden Bankgeschäft zu entsprechen. Er empfahl dringend, auf 100 Kassenschalter aufzustocken. Um seine Pläne mangels Bankerfahrung nicht ständig komplett ändern zu müssen, forderte er von der Bankleitung ab nun einen „Banksachverständigen“ zur Seite gestellt, der ihm den Bankbetrieb praxisnahe und die daraus ableitbaren räumlichen Erfordernisse erklären würde. Die Bankleitung bewilligte beides – die 100 Kassen und den Sachverständigen.
Trotz der Vorliebe der Notenbank für einen monumentalen Bankpalast begann man 1913 aber mit den Bauarbeiten am Druckereigebäude. Die Platzverhältnisse der Banknoten-Druckerei in der Herrengasse waren mittlerweile „nicht mehr tragbar“. Deswegen wollte man deren Umzug in ein neues Domizil beschleunigen. Doch auch hier löste der Erste Weltkrieg nicht einkalkulierte Probleme aus. Der Mangel an qualifiziertem Baupersonal und an Baumaterial brachten die Arbeiten ins Stocken und trieben die prognostizierten Kosten in kaum kalkulierbare Höhe. 1917 beschloss man deswegen, „die Arbeiten bis nach Friedensschluss einzustellen“. Es folgten nur mehr Erhaltungsmaßnahmen, um den Rohbau wetterfest zu machen.
Der Erste Weltkrieg hatte auch Einfluss auf die geplante Gestaltung des Bankpalastes. Die Prognosen der OeUB, wie sich welche Geschäftsbereiche in ihrem Umfang wandeln würden, änderten sich im Laufe des Krieges. Leopold Bauer musste so die Ausgestaltung des Äußeren und Inneren des Bankpalastes auf seinen Plänen immer wieder adaptieren. Zu einer Umsetzung seiner Ideen sollte es nie kommen, denn 1919 wurde auch das Schicksal des noch immer nicht realisierten Bankpalastes besiegelt: Der Generalrat beschloss die Einstellung aller geplanten Umsetzungsmaßnahmen. Im Hinblick auf die neuen „staatsrechtlichen Verhältnisse“ und die bevorstehende Liquidierung der OeUB bestünde keine Notwendigkeit mehr, ein neues Bankgebäude zu mittlerweile „beträchtlich gestiegenen Kosten“ auszuführen. Die 1914 noch mit 18,5 Millionen Kronen (heute ca. 123 Millionen Euro) kalkulierten Baukosten wären 1919 auf ein Vielfaches gestiegen.
Als eine ihrer letzten Beschlüsse löste die sich in Liquidation befindliche OeUB im Dezember 1922 den Vertrag mit Leopold Bauer. Die neu gegründete Oesterreichische Nationalbank (OeNB) kaufte den Rohbau des Druckereigebäudes 1923 aus der Liquidationsmasse der OeUB an und ließ ihn durch die beiden OeNB-Architekten Ferdinand Glaser und Rudolf Eisler zu einem Büro- und Druckereigebäude umbauen. Zur feierlichen Eröffnung dieses neuen OeNB-Hauptgebäudes am nunmehrigen Otto-Wagner-Platz 3 im Jahr 1925 wurde Leopold Bauer eingeladen, er blieb der Veranstaltung aber fern. Er zeigte sich darüber enttäuscht, dass die OeNB ihn nicht mehr in die weitere Ausführung des von ihm entworfenen Gebäudes einbinden wollte. Sein Lebenswerk, der Bankpalast, blieb eine Utopie.
Die Dokumentation über das gesamte Bauprojekt von 1911 bis 1919 hingegen ist sehr umfangreich: Während im Bankhistorischen Archiv (BHA) nur ca. 50 Pläne zum Bankpalais und zum Druckereigebäude erhalten sind, lagern dazu in der Albertina an die 700 Pläne und Skizzen aus dem Nachlass von Leopold Bauer. Im BHA umfassen die Bauakten zu beiden Gebäuden mehrere tausend Seiten, gesamt ca. 25 Kilogramm.
Ein Detail aus den einst visionären Plänen wird nach 110 Jahren nun doch umgesetzt: der U-Bahn-Bau vor den Toren der Notenbank.