Zusammenhalten in der Krise

Bittbrief des Wiener Bürgermeisters um Vergabe von Bauarbeiten zur Linderung der Not, Herbst 1914

Das vom Architekten Leopold Bauer geplante und nie gebaute Bankpalais an der Alserstraße, 1913
Das vom Architekten Leopold Bauer geplante und nie gebaute Bankpalais an der Alserstraße, 1913

Not und Arbeitslosigkeit hatten sich in Wien infolge des Ersten Weltkriegs rasant ausgebreitet. Das private wie auch das öffentliche Leben war seit Sommer 1914 auf militärische Prioritäten ausgerichtet. Viele Projekte und gewerbliche Aufträge kamen jäh zum Erliegen. Nicht nur weil sukzessive Männer zur Front eingezogen wurden, sondern vor allem weil zivile Materialtransporte zugunsten von militärischen rigoros eingeschränkt wurden. Wichtige Rohstoffe für Bau, Handel und Industrie konnten die Zielgebiete per Bahn kaum mehr erreichen. Damit wurde vielen Aufträgen die Basis entzogen, und Firmen mussten Mitarbeitende entlassen. In Branchen, wo noch gearbeitet werden konnte, suchte man händeringend nach Auftraggebern.  

In dieser kritischen Zeit entstand ein Großbau-Vorhaben im 9. Bezirk in Wien: Die Oesterreichisch-ungarische Bank (OeUB) – so der damalige Name der Nationalbank – wollte auf ihrem neuen Standort an der Alserstraße ihre österreichische Hauptanstalt erbauen. Der Architekt Leopold Bauer legte einen gigantischen Entwurf vor, der dem Stellenwert der Notenbank eines Vielvölkerreiches entsprechen sollte: Geteilt in einen vorderen Bauteil direkt an der Alserstraße – dem „Bankpalais“, und in einen durch eine Brücke verbundenen rückwärtigen, kleineren Bauteil – dem Fabriksgebäude für die Banknotendruckerei. Die Arbeiten starteten 1913 am überschaubareren und dadurch besser zu planenden Druckereigebäude. Dass dies dennoch ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für ambitionierte Projekte sein sollte, erwies sich bald nach Kriegsausbruch im Sommer 1914.

Material wurde immer schleppender geliefert, es kam zu ersten groben Verzögerungen. Dennoch blieb man zuversichtlich, dass man das Bauvorhaben durchziehen können würde. An der Aufgabe der Notenbank, selbst unter schwierigen Bedingungen eine Leistung erfüllen zu können, wollte sie auch als Bauherr festhalten. Diese Einstellung und auch die finanziellen Möglichkeiten waren zur Kriegszeit eine Ausnahme, weshalb man auch von öffentlicher Seite an die OeUB als Hoffnungsträger herantrat.  

Im Herbst 1914 wandte sich der Bürgermeister von Wien, Dr. Richard Weiskirchner, mit einem Appell an die Notenbank: Die verschiedenen Maßnahmen der Gemeinde Wien zur Linderung der Not und Arbeitslosigkeit würden allein nicht zielführend sein. „Es erscheint jedoch nur durch ein Zusammenwirken aller, der öffentlichen Faktoren wie der privaten Organisationen und der Einzelpersonen, möglich, den erwähnten Übelständen in wirksamer Weise entgegenzutreten.“ Die OeUB wurde gebeten, nach Möglichkeit die Arbeitslosigkeit im Baugewerbe zu mindern: „…wenn die geehrte Oesterreichisch-ungarische Bank sich dazu bestimmt finden wollte, die Bestellungen für den Bau ihres monumentalen Palais in der Alserstraße schon jetzt aufzugeben und die Inangriffnahme der Bauarbeiten selbst sobald als möglich in Aussicht zu nehmen.“   

Der Bau des Bankpalais war aber für die Notenbank selbst mittlerweile in unabsehbar weite Ferne gerückt. Die Ereignisse hatten die Planung auf den Kopf gestellt, und der Architekt musste zu seinem Leidwesen die Umsetzung seines Prestigebaus einfrieren, wenn man nicht wenigstens das Druckereigebäude fertig stellen wollte. So entschloss sich die Bankleitung, sämtliche Bildhauerarbeiten, die für die geplante Fassade des Nebentraktes vorgesehen waren, im Vorschuss zu vergeben, um der Bitte des Bürgermeisters zu entsprechen.

Leider konnten die meisten Reliefdarstellungen aufgrund der voranschreitenden Kriegsentwicklung nicht verwirklicht werden. Lediglich die Portalfiguren über dem Haupttor des vorgesehenen Druckereigebäudes tragen noch die Inschrift des Entstehungsdatums: 1915.

Das Bankpalais wurde nie gebaut. Der Bau am Druckereigebäude wurde 1917 als Rohbau eingestellt. Erst 1925 wurde es in einer komplett veränderten politischen und wirtschaftlichen Situation nach einem Radikalumbau eröffnet: Als Hauptgebäude der Oesterreichischen Nationalbank, in dem nun alle Büros und die Banknotendruckerei gleichzeitig untergebracht waren.