Arm und alleinerziehend

Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig? Wie den Witwen von Bankdienern geholfen wurde.

Bittgesuch des „Hausweibs" Maria Hainy um Gehaltsaufbesserung, 1873

Eine der Frauen, die in den 1870er Jahren in der Nationalbank arbeiteten
Eine der Frauen, die in den 1870er Jahren in der Nationalbank arbeiteten

Maria Hainy traf das Schicksal unvermutet: Ihr Mann war langjähriger Diener in der „privilegirten oesterreichischen National-Bank“, als er 1859 im Alter von 54 Jahren starb. Sie blieb mit drei Kindern im Alter von 15, 12 und 11 Jahren allein zurück. Plötzlich war sie zur Alleinverdienerin geworden, ohne Ausbildung musste sie nun ihre minderjährigen Kinder ernähren.

Für die meisten Frauen aus einfachen Verhältnissen führte in der damaligen Zeit der Tod des Ehemannes in einen Existenzkampf. Armut war ein flächendeckendes Problem, besonders zeigte sich das in Wien. Aufgrund der steigenden Industrialisierung sah sich die Reichshaupt- und Residenzstadt mit enormer Zuwanderung, Wohnungsmangel und ungesicherten Erwerbs- und Lebensverhältnissen für einen Großteil ihrer Einwohner konfrontiert. Die niedrigsten Einkommensempfänger mussten mit 6,25 bis 12,50 Gulden pro Monat auskommen, etwa 88,50EUR bis 177,- EUR*. Der Taglohn eines Arbeiters lag bei 35 Kreuzer (4,96 EUR*), darum konnte man sich 4 Kilo Brot kaufen, oder 1,4 Kilo Rindfleisch.

Frauen waren dabei von Armut stärker betroffen als Männer. Während in begüterten Kreisen die finanzielle Situation von Witwen oder Alleinstehenden durch ihre privilegierte Stellung meist gesichert war, gab die große Zahl der Fabrikarbeiterinnen, Heimarbeiterinnen und Bettlerinnen Zeugnis über die Not der einfachen Bevölkerung.  

In dieser Zeit, in der staatliche Sozialleistungen fehlten und Firmen dieser Aufgabe kaum nachkamen, übernahm die Nationalbank soziale Verantwortung: Sie gewährte finanzielle Unterstützung für Notfälle und zahlte zum Beispiel Witwen- und Waisenpensionen, was damals eine absolute Besonderheit war. Um darüber hinaus den Witwen von ehemaligen Bankdienern die Möglichkeit zur Aufbesserung des Einkommens zu ermöglichen, vergab sie diesen ab 1860 die Anstellung als „Hausweiber“.

Für Reinigungsarbeiten bekamen die Hausweiber einen Monatslohn von 15,75 Gulden (223,02 EUR*) und ein Jahresgeschenk in der Höhe von 45 Gulden (637,20 EUR*). Maria Hainy erhielt für ihre drei Kinder bis zu deren vollendeten 22. Lebensjahr einen jährlichen Erziehungsbeitrag von 25 Gulden (354,- EUR*). Zusätzliche Zahlungen – zum Beispiel für Kleiderabnutzung – deckten die gröbsten finanziellen Sorgen.

Maria Hainy dürfte eine energische Frau gewesen sein, denn sie suchte kontinuierlich um weitere finanzielle Unterstützung an – was ihr sehr oft, aber nicht immer, gewährt wurde. 1873 stellte sie nicht nur für sich, sondern auch für vier ihrer Schicksalsgenossinnen, ebenfalls Hausweiber, bei der Bankleitung einen Antrag auf Aufbesserung ihres Gehalts: „…für die kleinste Wohnung selbst außerdem zwischen Monat 10 – 15 Gulden zahlen müssen, überdies durch Alter, Gebrechen und Mangel an Zeit gar keinen Nebenerwerb haben, bei der enormen Theuerung der Wohnungsmiethe und Lebensmittel, eine hochlöbliche Bankdirektion kniefälligst um Aufbesserung ihres Taggeldes von täglichen 52 ½ Kreuzer zu bitten.“
Die Bank gewährte das Ansuchen und erhöhte ihren Monatslohn von 15,75 auf 20 Gulden – das entspricht heute ca. 283,20 EUR*.


*Kaufkraftvergleich des Gulden/Kreuzer mit dem Euro, Stand März 2020