Violine, Giuseppe Guarneri del Gesù, Cremona, 1741, „ex Carrodus“

Druckzettel: „Joseph Guarnerius fecit [Kreuz] / Cremonę anno 1741 IHS“ (41 handschriftlich)

Es handelt sich um eine typische Arbeit aus der späten Periode des Cremoneser Meisters. Im Vergleich zur zehn Jahre zuvor entstandenen „ex Sorkin“ ist nun das Modell etwas breiter, die Mittelbügel wirken offen, und die Ecken springen weniger vor. Die Wölbung ist geringfügig höher genommen als bei dem früheren Instrument. Charakteristisch ist die in der Bodenmitte angebrachte Bohrung, die in diesem Fall von außen sichtbar ist. Schnecke und Bodenrand zeigen Werkzeugspuren, die Guarneri beim abschließenden Arbeitsgang nicht geglättet hat und die typisch sind für seine rasche Arbeitsweise. Die zweiteilige Decke besitzt mittelbreite Jahresringe und ist leicht gehaselt. Laut einem dendrochronologischen Gutachten datiert der späteste Jahresring aus dem Jahr 1738. Die beiden Deckenhälften kommen vom selben Stamm und die Chronologie weist hohe Übereinstimmungen mit anderen Instrumenten auf, vor allem auch mit solchen von Antonio Stradivari. Zwischen dem jüngsten Jahresring der Decke und der Entstehung der Geige liegen nur drei Jahre. Daraus lässt sich schließen, dass Guarneri das Holz bereits nach sehr kurzer Trocknungszeit verarbeitete. Der geteilte Boden zeigt mittelbreite Flammen, die zur Bassseite hin leicht abfallen. Die Zargen entsprechen in der Struktur dem Boden. Die Wölbung mittlerer Höhe setzt fast ohne Hohlkehle am Rand an. Charakteristisch sind die schlanken F-Löcher, die bei diesem Instrument außergewöhnlich schmale Klappen aufweisen. Sie sind mit schneller Hand geschnitten und wirken etwas asymmetrisch. Beim Schnitzen von Wirbelkasten und Schnecke dürfte für Guarneri del Gesù, anders als Stradivari, eher die Zeitökonomie als die Perfektion im Vordergrund gestanden sein. Da diese Bauteile für den Klang des Instruments unerheblich sind, legte er weder auf Symmetrie noch auf einen ebenmäßigen Verlauf der Voluten wert. Heute wird dieser Verzicht auf optische Perfektion nicht als Mangel angesehen, sondern als Ausdruck seiner Persönlichkeit. Bei der Violine von 1741 ist der Verlauf der tief geschnittenen Volute harmonisch, allerdings leicht asymmetrisch. Die Bassseite des Stabes sitzt etwas tiefer als ihr Pendant.

Die Provenienz der Geige lässt sich bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Ihr erster prominenter Eigentümer war François Cramer, der 1772 in Schwetzingen geboren wurde. Sein Vater, der ebenfalls ein namhafter Geiger war, übersiedelte mit seiner Familie im folgenden Jahr nach London. 1834 wurde François Cramer zum Kapellmeister am englischen Hof bestellt. Kurz vor seinem Tod veräußerte er das Instrument an Sir Alexander Mackenzie, der damals als Geiger und Dirigent am Theatre Royal in Edinburgh engagiert war. Über die Firma W. E. Hill gelangte die Geige zu ihrem Namensgeber, John Tiplady Carrodus (1836–1895). Zeitgenossen bezeichneten ihn damals als Englands führenden Geiger. Carrodus besaß außer diesem Instrument eine weitere Geige von Guarneri del Gesù aus dem Jahr 1743, die heute ebenfalls seinen Namen trägt. Nach dessen Tod blieb das Instrument bis ins frühe 20. Jahrhundert in Familienbesitz. Unter den weiteren Besitzern befinden sich mehrere prominente Sammler und Musiker, darunter der amerikanische Geiger Aaron Rosand.

                       

Julian Rachlin, Violine (Giuseppe Guarneri del Gesù, Cremona, 1741, „ex Carrodus“) mit Pavel Jons Krejc und Bernhard Prammer.