Gouverneur Nowotny im Interview mit dem Profil

„Eine Notenbank wird klarerweise politisch besetzt“

Das Interview führte Michael Nikbakhsh vom Profil

Der scheidende OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny über elf turbulente Jahre: Wie er die Lehman-Pleite 2008 erlebte, warum die Politik bei Postenbesetzungen mitreden darf -und die von der gescheiterten türkis-blauen Regierung geplante Reform der Bankenaufsicht unvernünftig wäre.

Der Anblick ist Mitarbeitern wohlvertraut. Wer im fünften Stock der Nationalbank-Zentrale am Wiener Otto-Wagner-Platz auf die Toilette will, kommt am Bildnis von Alois Moser, Gouverneur der "Oesterreichisch-ungarischen Bank" (1878 bis Carl Probst muss demnächst einem kontemporären Werk weichen. Am 1. September tritt Ewald Nowotny als Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank nach elf Jahren ab -und wie das bei der OeNB so Usance ist, bekommt er zum Abschied einen Platz an einer Wand. Sein Porträt der Künstlerin Xenia Hausner sei derzeit in Arbeit, wie Nowotny im Interview erzählt. Wer seine öffentlichen Auftritte in der vergangenen 1892) nicht vorbei.

Das Œuvre des Wiener Porträtmalers Dekade verfolgte, konnte den Eindruck gewinnen, der Mann lebe in einem Paralleluniversum. Lehman-Pleite, Hypo-Alpe-Adria-Desaster, Bankenrettung, Finanz-, Euro-, Wirtschafts-und/oder Griechenland-Krise -seine Botschaft war die immergleiche: Ruhe bewahren, alles halb so wild. Das war natürlich stets ein wenig untertrieben, ist aber letztlich Teil der Job description eines Nationalbank- Gouverneurs. "2008/2009 hat es Momente gegeben, wo wir nicht sicher waren, ob das Weltfinanzsystem nicht zusammenbricht", sagt er heute. Das Interview wurde am 29. Juli in Nowotnys Büro geführt.

profil: In der Oesterreichischen Nationalbank ist es Tradition, ehemalige Gouverneure in Öl zu verewigen. Haben Sie Ihr Porträt schon?
Nowotny: Nein, aber es wird gerade von der Künstlerin Xenia Hausner gemalt.

profil: Wie fühlt es sich an, demnächst ein Ölgemälde zu sein?
Nowotny: Ich bin ja jemand mit einem historischen Bewusstsein. Der Gedanke, Teil einer großen Geschichte zu sein, gefällt mir.

profil: Was, abgesehen von einem Ölgemälde, bleibt von der Ära Ewald Nowotny?
Nowotny: Zunächst einmal haben wir gezeigt, dass wir in einer Krise handlungsfähig sind. Zum Zweiten ist die innere Struktur der Bank massiv verändert worden. Als ich gekommen bin, war die Versorgung der Belegschaft, sagen wir einmal, sehr großzügig. Wir haben das Dienstrecht geändert und das Besoldungssystem den Standards angepasst, die heute in der Bankenbranche gelten. Zum Dritten hat sich in dieser Zeit die Rolle der Europäischen Zentralbank gewandelt. Sie hat die Zuständigkeit über die Bankenaufsicht für die größten europäischen Banken bekommen, das hat sich natürlich auch auf diese Bank ausgewirkt. Da ist jetzt die Frage, wie das auf politischer Ebene weitergeht, ich hoffe nach wie vor auf eine vernünftige Lösung. Und auf einen letzten Punkt wurde ich von meinen Mitarbeitern immer wieder angesprochen. Ich habe veranlasst, dass in diesem Haus eine Klimaanlage eingebaut wurde. Wir haben jetzt Fernkühlung. Es hat hier zwar viele Privilegien gegeben, aber um die Qualität der Arbeitsplätze hat man sich weniger gesorgt.

profil: Sie mögen Privilegien abgebaut haben, aber einige werden Sie überdauern. Da gibt es zum Beispiel eine freiwillige Kinderbeihilfe, eine Familienzulage, nach Alter gestaffelte Zuschüsse zur privaten Krankenzusatzversicherung, eine Geburtsbeihilfe, eine Heiratsbeihilfe, einen Karenzzuschuss, günstige Betriebsdarlehen, Gehaltsvorschüsse und Mitarbeiter-Wohnungen.
Nowotny: Das alles hat natürlich historische Hintergründe, und manches davon kann nicht verändert werden. Was wir jetzt haben, orientiert sich aber an den Kriterien der Branchenüblichkeit, das sind in unserem Fall das Kreditwesen und die Wirtschaftsprüfungsunternehmen. Und auch dort gibt es verschiedene Zusatzleistungen. Mehr als die Hälfte unserer Dienstnehmer sind schon im neuen Dienstrecht. Und wichtig ist mir auch zu sagen: Die OeNB muss als Arbeitgeber attraktiv bleiben. Wir brauchen auch künftig gute Leute, und um die gibt es einen Wettbewerb. Soweit es die Wohnungen betrifft, haben wir die Häuser übrigens verkauft. Die bis dahin bestehenden Mietverträge sind zwar weiterhin aufrecht, aber die Häuser gehören nicht mehr uns.

profil: Sie wurden am 1. September 2008 Gouverneur der Nationalbank. Zwei Wochen später kollabierte in den USA die Investmentbank Lehman Brothers, knapp mehr als ein Jahr später musste in Österreich die Hypo Alpe-Adria notverstaatlicht werden. Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Eurokrise, Staatsschuldenkrise: Die Notenbanken waren in der vergangenen Dekade nicht unterbeschäftigt. Da durften einige Ihrer Vorgänger ruhigere Kugeln schieben.
Nowotny: Nachdem die Rettung der Bawag gelungen war, hat mir die Regierung quasi als Anerkennung einhellig eine anerkannte, ehrenvolle und ruhige Tätigkeit offeriert. Das habe ich damals gerne akzeptiert. Es hat sich dann aber sehr bald gezeigt, dass die Funktion zwar anerkannt, aber keinesfalls ruhig war.

profil: Welche Erinnerungen haben Sie an die Lehman-Pleite?
Nowotny: Es war eine Zeit voller Unsicherheit. Dass es im amerikanischen Immobiliensektor Probleme gab, hatte sich zwar abgezeichnet, aber diese Form der Eruption kam völlig unerwartet. Das führte zu einem Zusammenbruch der Geldmärkte, womit man weder in der Praxis noch in der Theorie jemals gerechnet hatte. Der Kollaps war für das System lebensbedrohlich. Jeden Tag machte ein neues Gerücht die Runde, welche Bank als Nächstes dran sei. Wir hatten auf Ebene der EZB täglich mindestens eine Telefonkonferenz, wo über mögliche Wackelkandidaten berichtet wurde. Es hat nicht lange gedauert, bis auch Österreichs Banken das Interesse auf sich zogen. Diese hatten zwar den Vorteil, nicht in Amerika engagiert zu sein, dafür aber in Osteuropa, das alsbald auch ins Gerede kam. Die Gefahr bestand, dass österreichische Banken sich panikartig aus diesen Märkten zurückziehen könnten. Hätten das alle gleichzeitig gemacht, hätte das zu einer Katastrophe geführt. Das konnte dank gemeinsamer Anstrengungen mit dem Währungsfonds, der Europäischen Investitionsbank und der EU-Kommission verhindert werden. Ich war zu der Zeit auch sehr viel London unterwegs, weil auch die Ratingagenturen hohen Informationsbedarf hatten.

profil: Ein Begriff hat diese Phase jedenfalls überdauert: "Sozialisierung von Verlusten".
Nowotny: Für diese Kritik habe ich volles Verständnis, aber es war auch eine Frage der Alternativen. Die große Lehre aus der Krise 1930er-Jahre war, dass man die Banken stabilisieren muss, um die Wirtschaft zu stabilisieren. In dem Sinn war es keine Bankenrettung, sondern eine Wirtschaftsrettung.

profil: Eine der Lehren aus der Finanzkrise war, dass Banken als zentrale Elemente eines Wirtschaftsgefüges besser reguliert und kontrolliert werden müssen. Könnte sich ein Fall Hypo Alpe-Adria wiederholen?
Nowotny: Die Deregulierung des Finanzsektors war tatsächlich eine der Ursachen der Finanzkrise. Und wie das halt oft so ist, kam es im Anschluss daran zum anderen Extrem, einer massiven Reregulierung. Österreichs Banken sind heute jedenfalls deutlich besser kapitalisiert als vor der Krise, sie haben das Eigenkapital seit 2008 verdoppelt. Soweit es die Hypo Alpe-Adria betrifft, hatten wir es zu einem großen Teil auch mit kriminellen Aktivitäten zu tun. Und das ist bedauerlicherweise nie gänzlich auszuschließen. Grundsätzlich zeigt all das, wie sehr es hochqualifizierte und motivierte Bankenaufseher braucht, um ein Gleichgewicht herzustellen.

profil: Die gescheiterte Bundesregierung um Kanzler Kurz wollte die zwischen Nationalbank und Finanzmarktaufsicht geteilte Bankenaufsicht in der FMA zusammenführen. Daraus wird jetzt erst einmal nichts, Sie selbst haben das bereits laufende Projekt auf Eis gelegt. Sie haben eingangs gesagt, Sie hofften auf eine "vernünftige Lösung". Vernunft heißt?
Nowotny: Vernunft heißt, ein Modell, das sich nicht nur in Österreich bewährt hat, weiterzuführen. Wir haben eine Bankenaufsicht, die von zwei Institutionen in Arbeitsteilung gemacht wird. Die OeNB, zuständig für die Vor-Ort-Prüfung, die FMA, zuständig für die juristische Seite. Das ist eine Art Vieraugen-Prinzip, das gerade in einem so sensiblen Bereich sehr wichtig ist. Der Rechnungshof hat auch darauf hingewiesen, dass der Plan der Regierung eine Fülle neuer Schnittstellen gebracht hätte.

profil: Ich nehme einmal an, Sie haben dem damaligen Finanzminister Hartwig Löger Ihre Bedenken hinterbracht.
Nowotny: Das haben wir. Aber das war eine politische Entscheidung.

profil: Dahinter standen offensichtlich parteipolitische Interessen.
Nowotny: Das kommentiere ich nicht.

profil: Ein Dilemma: Die OeNB agiert dem Selbstverständnis nach unabhängig von politischen Interessen, wird aber von Leuten geführt, die ihre Jobs nur deshalb haben, weil Politiker das so wollten. Das war bei Ihnen so, das ist auch beim neuen Direktorium unter Ihrem Nachfolger Robert Holzmann so.
Nowotny: Eine Notenbank ist eine so wichtige Institution, dass sie klarerweise auch politisch besetzt wird. Das ist bei der Deutschen Bundesbank so, das ist bei der Fed in den USA so. Der politische Bestellungsmechanismus ist nicht so sehr das Thema, es geht um die Qualität der Bestellung.

profil: Ich schließe aus, dass ich Sie dazu bringe, die Qualität aktueller Bestellungen auf Ebene des Direktoriums und des Generalrats zu hinterfragen.
Nowotny: Danke für Ihr Verständnis.

profil: Als ich gelesen habe, dass der frühere Wiener FPÖ-Finanzsprecher und nicht amtsführende Stadtrat a. D. Eduard Schock Direktor der Nationalbank wird, dachte ich mir: Die Eintrittsbarriere für so einen Job ist doch deutlich niedriger als angenommen.
Nowotny: Jetzt haben Sie die Frage aber irgendwie doch gestellt.

profil: Reden wir über Stabilität. 525 Tage Bundesregierung sind eher das Gegenteil davon. Wenn Sie auf Österreich im Spätsommer 2019 blicken, was sehen Sie da?
Nowotny: Ich bin ja immer für die gute Kleiderordnung

profil: das Wort scheinen Sie zu mögen. Ich habe es in einigen Interviews wiedergefunden.
Nowotny: Das muss ich auch mögen. Als Notenbank sind wir zuständig für den Bereich der Geld- und Währungspolitik.

profil: Ich dachte da eher an die Verfasstheit der österreichischen Innenpolitik.
Nowotny: Fragen Sie mich das in zwei Monaten, da trage ich andere Kleider.

profil: Die Europäische Zentralbank hat erst kürzlich erklärt, dass die Zinsen mit Blick auf die Konjunktur nicht nur weiterhin niedrig bleiben würden, sondern tendenziell eher wieder sinken könnten, um die Inflation anzutreiben.
Nowotny: Wir haben konjunkturell eine Eintrübung, ich sehe da allerdings keinerlei Dramatik. Wenn wir in Europa reale Wachstumsraten von 1,5 bis zwei Prozent im Jahr haben, dann ist das durchaus adäquat. Ich denke, wir müssen uns auf eine lange Phase geringen Wachstums, geringer Inflation und hoher Verschuldung einstellen. In gewisser Weise nähern sich viele Industriestaaten hier der Situation in Japan an, wenn auch abgeschwächt. Ich habe allerdings meine Zweifel, dass eine expansive Geldpolitik sehr viel mehr Wachstum bewirken kann.

profil: Sie waren, soweit ich mich erinnere, nie ein Fan der EZB-Geldpolitik unter Mario Draghi. Die Europäische Zentralbank hat in den vergangenen Jahren 2,65 Billionen Euro Zentralbankgeld eingesetzt, um Schuldtitel von Staaten, Institutionen, Unternehmen anzukaufen. Das Programm wurde Ende 2018 beendet, könnte nun aber wiederaufgenommen werden.
Nowotny: Ich habe den Kurs mitgetragen, als es darum ging, eine Deflation zu verhindern, das ist auch gelungen. Ich bin nur skeptisch, inwieweit weitere Expansionsmaßnahmen sich realwirtschaftlich wirklich positiv niederschlagen können. Ich denke nicht, dass eine Notwendigkeit besteht, dieses Programm wiederaufzunehmen. Wie schon gesagt: Wir müssen lernen, mit niedrigen Wachstums- und Inflationsraten zu leben.

profil: Ich habe die Vorgänge rund um den Brexit mittlerweile unter einer Wahrnehmung abgelegt: Verrückt. Sie?
Nowotny: Notenbanker sollten ja keine emotionale Seite zeigen, aber da bin ich wirklich empört. Hier wurde aus einer innerparteilichen Intrige fahrlässig eine Stimmung erzeugt und von einer verantwortungslosen Massenpresse unterstützt, was letztlich zu einer Spaltung des Landes geführt hat. England kann hier ohne Not in eine sehr gefährliche Position kommen. Die Verantwortung dafür trägt eine zynische Elite. Wir müssen uns bemühen, für alle Eventualitäten vorzukehren, die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit wird ja immer größer. Wir haben im Notenbankbereich sehr enge Kontakte mit der Bank of England und eine gegenseitige Swap-Line vereinbart, das sind gegenseitige Finanzierungshilfen, falls erforderlich. Wir haben in Bezug auf die Regulierung zum Teil Übergangsbestimmungen vorgesehen, damit das Bankgeschäft weitergehen kann. Man darf ja nicht vergessen, dass London weiterhin der wichtigste Finanzplatz Europas ist. Wir haben auch ein europäisches, ein EU-Interesse daran, dass dieser Finanzplatz funktioniert, wenngleich er an Bedeutung verlieren wird.

profil: Sie kamen in unruhigen Zeiten, Sie gehen in unruhigen Zeiten.
Nowotny: Na ja, die Zeit heute ist doch deutlich ruhiger. 2008/2009 hat es Momente gegeben, wo wir nicht sicher waren, ob das Weltfinanzsystem nicht zusammenbricht. Davon kann jetzt keine Rede sein. Die Themen heute sind vergleichsweise handelbar. Ob die Inflation jetzt 1,3 oder 1,9 Prozent ausmacht, ist für die EZB zwar ein Handlungsmotiv, aber nichts, was das Leben der Menschen gravierend beeinflussen würde.

profil: Ich habe das jetzt auf Themen wie Handelskonflikte, Konflikte generell, Migrationsbewegungen und Klimawandel bezogen.
Nowotny: Was mich wirklich bekümmert, ist der wachsende Einfluss des Populismus. Wir haben in der Finanzkrise in Österreich ein Bankenpaket beschlossen, das immerhin rund 100 Milliarden Euro groß war. Einstimmig. Da hat es ein Gefühl für Verantwortung gegeben. Das sehe ich jetzt nicht mehr. Ich habe aber meinen Optimismus und mein Grundvertrauen in das demokratische System nicht verloren. Letztlich werden sich die Populisten an Ergebnissen messen lassen müssen. Populistische Politik ist per Definition kurzfristig. Die Rechnung dafür kommt langfristig. Populismus ist etwas, um eine Wahl zu gewinnen, vielleicht auch zwei. Dann werden die Folgen schon sichtbarer. Generell wird Politik leider zunehmend von Angst beherrscht. Angstthemen sind immer stärker als Hoffnungsthemen. Wir hatten das Angstthema Ausländer, das hat sich abgenutzt, jetzt haben wir das Angstthema Umwelt.

profil: Sie werden sich jetzt nicht etwa als Klimawandelleugner outen?
Nowotny: Nein, im Gegenteil. Der Klimawandel ist unterwegs, und auch die Notenbanken nehmen das ernst. Wir als Oesterreichische Nationalbank sind Teil des internationalen Notenbanknetzwerkes zu Aspekten des Klimawandels. Man soll nur die Möglichkeiten des technischen Fortschritts nicht unterschätzen. Wir hatten das Problem des Waldsterbens, das konnten wir technisch lösen. Wir werden den Klimawandel wahrscheinlich nicht aufhalten können, aber wir können uns adaptieren. Es wird vielleicht ein anderes Leben sein, aber es wird ein mögliches Leben sein. Ich bin übrigens ein großer Anhänger von Ökosteuern. In meiner Habilitationsschrift vor fast 40 Jahren habe ich mich als Erster im deutschen Sprachraum mit diesem Thema beschäftigt. Wenn ich das Fliegen oder die Energie durch Umweltsteuern teurer mache, dann hat das einen Effekt. Dieser muss aber mit sozialen Abfederungen verbunden sein, um niedrigere Einkommen zu entlasten. Das ist machbar.