Gouverneur Nowotny – Interview mit FORMAT

17. Oktober 2014, Wien

Die niedrige Inflation in der Euro-Zone bereitet Ewald Nowotny, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) und EZB-Ratsmitglied, zunehmend Sorge. "Die Wirtschaft im Euroraum ist noch nicht in einer Deflation, zeigt aber deutliche Zeichen einer Abschwächung". (Interview von Rainer Himmelfreundpointner aus FORMAT 42/2014)

Format: Herr Nowotny, der EZB-Plan für den Kauf von „Asset Backed Securities“ wird immer stärker kritisiert. Ist das nun eine sinnvolle Bankenentlastung, oder halst sich die EZB unnötiges Risiko auf?

Ewald Nowotny: Die Wirtschaft im Euroraum ist noch nicht in einer Deflation, zeigt aber deutliche Zeichen einer Abschwächung. Deswegen hat die EZB etliche Gegenmaßnahmen ergriffen. Etwa die Zinssenkungen auf 0,05 Prozent oder die langfristigen Kreditrahmen zur Refinanzierung der Banken. Das ABS-Programm ist die nächste Stufe. Aber bei Verbriefungen kommt es sehr auf die Qualität der Papiere an. Denn das Prinzip kann missbraucht werden, wie sich besonders bei der Bündelung von schlechten Hypothekarkrediten in den USA, die zum Ausbruch der Finanzkrise geführt haben, gezeigt hat.

Format: Befürchten Sie, dass die EZB ebenfalls solche Ramschpapiere ankaufen und so zu einer Bad Bank wird?

Nowotny: Nein, die Bad-Bank-Debatte findet nur in Deutschland statt und ist bei Weitem überzogen. Das ist Panikmache ohne Substanz.

Format: Aber haben Banken nicht hohes Interesse daran, faule Kredite an die EZB zu verkaufen, um so ihr Risiko zu verringern?

Nowotny: Erstens würden die ABS nur einen sehr geringen Anteil der EZB-Bilanzsumme ausmachen. Zweitens sind ABS nicht per se Ramschpapiere, denken Sie nur an die guten, alten Pfandbriefe. Ich bin als nicht prinzipiell gegen ABS, aber deren Qualität ist wichtiger als die Quantität. Man sollte sich also nicht von vornherein auf ein bestimmtes Volumen auf ABS-Ankäufen festlegen.

Format: EZB-Chef Draghi hat aber bereits von einem Ankaufsbudget von bis zu einer Billion Euro gesprochen.

Nowotny: Ich will über Zahlen nicht spekulieren. In den Märkten gab es jedenfalls übertriebene Vorstellungen über das Ankaufsvolumen. Die EZB sollte sich nicht von den Märkten treiben lassen und sich auch nicht auf quantitative Ziele einlassen.

Format: Stimmt es, dass Sie wegen dieser Bedenken so wie Ihr Kollege Jens Weidmann von der deutschen Bundesbank gegen das ABS-Ankaufsprogramm gestimmt haben?

Nowotny: Es gibt in der EZB die Regel, dass das einzelne Abstimmungsverhalten der Ratsmitglieder nicht veröffentlicht wird, aber ich habe Ihnen meine Meinung gesagt.
Es ist durchaus möglich, dass wir gerade einen Strukturbruch der Weltwirtschaft insgesamt erleben.

Format: Jetzt will die EZB diese ABS von Hedgefonds wie Blackrock oder den großen Accounting-Firmen, womöglich auch Institutionen, die am Ausbruch der Finanzkrise beteiligt waren, bewerten lassen. Wird hier nicht der Bock zum Gärtner gemacht?

Nowotny: Nein, das ist eine überzogene Befürchtung. Blackrock wurde für die Vorbereitung des ABS-Programm engagiert, ein weiteres Mandat ist momentan ausgeschrieben, aber noch nicht entschieden. Richtig ist jedoch, dass die EZB hier Neuland betritt. Es ist sinnvoll, sich dabei beraten zu lassen. Aber die Letztentscheidung, welche Risiken man übernimmt, liegt bei den EZB-Gremien. Beratung heißt nicht Entscheidung.

Format: Aber die ABS-Ankäufe sollen doch von Blackrock & Co und nicht durch die EZB und die nationalen Notenbanken exekutiert werden?

Nowotny: Die Details müssen alle noch diskutiert werden. Deswegen wird das ABS-Programm frühestens im vierten Quartal 2014 aktiviert. Der Ankauf von Verbriefungen ist ein neues Territorium, das gut vorbereitet sein will. Nach meiner Einschätzung wird es nicht vor Dezember zu ABS-Ankäufen kommen.

Format: Glauben Sie, dass dieses ABS-Programm die europäische Wirtschaft tatsächlich wieder ankurbeln wird?

Nowotny: Die expansive EZB-Geldpolitik ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für eine wirtschaftliche Belebung. Dafür braucht es bekanntlich struktur- und fiskalpolitische Maßnahmen, um die Nachfrage zu stärken. Geldpolitik allein wird nicht ausreichen.

Format: Solche Schritte sind, abgesehen von der 300-Milliarden-Investitionsankündigung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, kaum in Sicht.

Nowotny: Man sollte nicht alles negativ sehen. In Irland, Portugal und Spanien ist schon sehr viel passiert. Und der momentane Euro-Wechselkurs wirkt stärkend auf die europäische Wirtschaft. Daher dürfen wir 2015 wieder höhere Wachstumsraten erwarten.

Format: Aber maximal ein bis 1,5 Prozent, also weit vom Vorkrisenniveau entfernt.

Nowotny: Ob wir Wachstumsraten von drei, vier Prozent wie vor der Lehman-Pleite je wieder erreichen werden, ist überhaupt fraglich. Es ist durchaus möglich, dass wir gerade einen Strukturbruch der Weltwirtschaft insgesamt erleben.