Gouverneur Nowotny im Interview mit der „Presse“

05.04.2016

Nowotny: "Die Debatte übers Bargeld ist totaler Unsinn"

Eine Deflation konnte in der Eurozone verhindert werden, sagt Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny. Bargeldabschaffung und Helikoptergeld seien "völlig unrealistisch".

 

Die Presse: Sind Sie schon in einem Helikopter geflogen?

Ewald Nowotny: Allerdings. Als das neue EZB-Gebäude während der Eröffnung von Demonstranten belagert wurde – da wurde ich vom Flughafen mit dem Hubschrauber abgeholt.

Die Presse: Diese Demonstranten hätten Sie sicher beruhigen können, wenn Sie Geld aus dem Hubschrauber abgeworfen hätten.

Ewald Nowotny: Das glaube ich eher nicht, deren ökonomischer Sachverstand war etwas beschränkt.

Die Presse: Ich spreche die Idee des Helikoptergeldes an. Also jedem in der Eurozone Geld zu überweisen, um Inflation zu erzeugen.

Ewald Nowotny: Ich halte diese Diskussion für sehr unglücklich, das ist eine völlig unrealistische Perspektive, weil sie die psychologische Seite außer Acht lässt. Die USA haben etwas Ähnliches gemacht in der Krise, indem sie Steuergutschriften ausgegeben haben. Aber das ist Fiskalpolitik, nicht Geldpolitik. Das kommt für die EZB also nicht infrage.

Die Presse: Der zweite Aufreger ist das Bargeld: Wird der 500-Euro-Schein nun abgeschafft oder nicht?

Ewald Nowotny: Das ist noch nicht entschieden, aber wie es aussieht, wird er in Zukunft nicht mehr gedruckt. Die alten Scheine werden Zahlungsmittel bleiben, aber es könnte womöglich keine neuen Fünfhunderter geben. Aber Bargeld ist natürlich ein zentraler Teil der Zahlungsmittel und wird es auch bleiben.

Die Presse: Das ist doch unglaubwürdig. Zuerst heißt es, Bargeld wird bleiben. Und dann wird ein Schein abgeschafft.

Ewald Nowotny: Wir haben leider in den Medien eine Debatte über die Abschaffung des Bargelds. Aber das ist totaler Unsinn. Beim 500er-Schein geht es nur um die Stückelung. Aber ich persönlich bin auch kein Freund der Abschaffung, weil ich glaube, dass wir der Bargelddebatte keine Nahrung geben sollten.

Die Presse: Die EZB pumpt pro Monat 80 Mrd. Euro in die Märkte, das entspricht dem Vermögen von Bill Gates. Wie soll das enden? Wie viel Geld wird die EZB drucken?

Ewald Nowotny: Wir haben in Europa nach wie vor sehr niedrige Wachstums- und Inflationsraten und die EZB muss gegen die Gefahren einer Deflation ankämpfen. In diesem Kontext hat die EZB eine expansive Geldpolitik eingeführt, analog zu dem, was in den USA geschehen ist. Dort hat das in Kombination mit einer expansiven Fiskalpolitik zu Erfolgen geführt, daher denkt man dort jetzt über die Anhebung der Zinsen nach. Sobald es in Europa zu so einer Verbesserung kommt, wird es auch eine Veränderung der Zins- und Geldpolitik geben.

Die Presse: Wären wir ohne Eingriffe der EZB sicher in der Deflation gelandet?

Ewald Nowotny: Ja. Ein wichtiges Indiz dafür ist der Unterschied zwischen der nominellen Inflationsrate und der Kerninflation, bei der die Energiepreise nicht berücksichtigt werden. Die Kerninflation soll heuer schon 1,1 Prozent betragen. Nur die können wir beeinflussen. Keine Notenbank kann den Ölpreis steuern.

Die Presse: Es konnte aber verhindert werden, dass durch den niedrigen Ölpreis die Preise auf breitem Niveau sinken?

Ewald Nowotny: Richtig. Da hätte eine Dynamik nach unten entstehen können. Eine echte Deflation würde bedeuten, dass die Umsätze der Wirtschaft sinken. Da die Löhne nach unten deutlich starrer sind, würde das die Gewinnmargen für Unternehmen verringern. Investitionen und Konsum würden schrumpfen. Deshalb hat die EZB sofort nach ihrer Gründung Preisstabilität als nicht über, aber knapp bei zwei Prozent definiert. Man will keine übertriebene Inflation, aber auch keine Deflation. Die zwei Prozent sind der Sicherheitsabstand. Den haben wir derzeit noch nicht erreicht.

Die Presse: Wo sind die Grenzen der aktuellen Geldpolitik?

Ewald Nowotny: Was die EZB tut, kann eine Deflation verhindern – aber Geldpolitik reicht nicht aus, um tatsächlich Wachstum zu schaffen. Keynes hat dazu gesagt, man könne die Pferde zur Tränke führen, aber saufen müssen sie selbst. Wir füllen die Tränke, aber die realwirtschaftlichen Impulse müssen von woanders kommen. Das kann die Exportseite sein, das kann die Investitionsseite sein oder der Konsum. Strukturreformen können auch helfen. Jetzt wird es auch zusätzliche öffentliche Investitionen brauchen.

Die Presse: Die EZB kauft auch Staatsanleihen. Warum soll das keine unerlaubte Staatsfinanzierung sein?

Ewald Nowotny: Die EZB kauft die Staatsanleihen auf den Sekundärmärkten, also von den Banken. Dort sollen Mittel freigestellt werden, die dann als Kredite in den privaten Sektor gehen sollen. Es ist Liquidität für den Bankenbereich und keine Staatsfinanzierung. Keine Notenbank der Welt ist unabhängiger vom Staat als die EZB. Notenbank-Unabhängigkeit ist nicht gottgegeben, sondern beruht auf Gesetzen. Im Fall der EZB ist das der EU-Vertrag, der nur einstimmig von allen Staaten der EU geändert werden kann. In den USA kann der Staat die Unabhängigkeit der Notenbank einschränken. Das kann der EZB nicht passieren.

Die Presse: Braucht der Euro ein europäisches Finanzministerium?

Ewald Nowotny: Langfristig ist eine stärkere Integration der Finanzpolitik notwendig und sinnvoll. Aber konkret und aktuell ist eine Änderung der EU-Verträge nicht realistisch. Und ich wehre mich gegen Behauptungen, ein europäischer Finanzminister wäre eine Voraussetzung für das Funktionieren der Eurozone. Das ist falsch. Die Eurozone kann auch im jetzigen Gefüge gut funktionieren und hat das auch bewiesen.

Die Presse: Der Iran setzt beim Ölhandel auf den Euro. Hat der Euro eine Zukunft als Ölwährung?

Ewald Nowotny: Der Euro ist schon heute nach dem Dollar die zweitwichtigste Reservewährung der Welt. Das ist ein Teil des Erfolges des Euro. Da ist es nur logisch, dass auch bestimmte Rohstoffmärkte auf den Euro setzen. Ich will das aber nicht überbewerten, gerade im Ölbereich spielen politische Aspekte eine große Rolle.

Die Presse: Gerade hat der Währungsfonds durch ein abgehörtes Gespräch zu Griechenland aufhorchen lassen. Da soll offenbar ein Schuldenschnitt erzwungen werden.

Ewald Nowotny: Ich möchte abgehörte Telefonate auf keinen Fall kommentieren, ich weiß nicht, wie authentisch das ist. Aber der IWF ist an sich ökonomisch für eine Stabilisierung Griechenlands nicht mehr notwendig. Das ist ein Problem, dass die Europäer allein lösen könnten. Einen expliziten Schuldenschnitt wird es eher nicht geben. Griechenland hat schon massive Fortschritte gemacht. Die jüngste Debatte ist eine Art Querschuss gegen eine positive Entwicklung in Griechenland.

Die Presse: Was würde ein Austritt Großbritanniens aus der EU bedeuten?

Ewald Nowotny: Die Meinungsumfragen gehen derzeit eher in Richtung Brexit, aber die ökonomischen Überlegungen sprechen klar für eine EU-Mitgliedschaft Großbritanniens. Sollte es zu einem Brexit kommen, werden wir schwierige Austrittsverhandlungen führen müssen. Dann gäbe es vonseiten der europäischen Geldpolitik aber sicherlich keinen Anlass, englischen Anliegen entgegenzukommen. Gerade der britische Finanzsektor würde unter einem Brexit leiden.