Gouverneur Nowotny im Interview mit „Profil" – 24.04.2017

profil: Herr Nowotny, die Oesterreichische Nationalbank sorgt sich allem Anschein nach um den Aufwand, den Österreichs Banken treiben. Mir liegt eine Expertise aus Ihrem Hause vor, wonach die Kosten in Relation zu den Erträgen nach wie vor viel zu hoch seien. Demnach sei allein die „Kosteneffizienz der entscheidende Faktor für eine langfristig stabile Profitabilität“ und nicht etwa „das Geschäftsmodell, das Herkunftsland oder die Größe der Bank“.

Nowotny: Das ist etwas, das wir als Notenbank tatsächlich sehr genau verfolgen. Die Cost/Income-Ratio (Anm.: das prozentuelle Verhältnis zwischen Aufwendungen und Erträgen) wurde zwar deutlich verringert, allerdings mit erheblichen Unterschieden. Die Spannbreite bei österreichischen Banken ist sehr groß. Aber ja, es gibt noch Bedarf an Verbesserungen.

profil: „Verbesserungen“ ist ein Euphemismus für Personalabbau.

Nowotny: Ich habe schon bei anderen Gelegenheiten gesagt, dass wir davon ausgehen müssen, dass es im Bankenbereich zu einer deutlichen Reduzierung der Beschäftigtenzahlen kommen wird. Das ist zum Teil technisch bedingt. Die Digitalisierung führt zu einem geringeren Bedarf an Filialen. Das verstärkt den ohnehin spürbaren Kostendruck. Die Filialdichte hat zwar über die Jahre abgenommen, im internationalen Vergleich ist diese aber nach wie vor hoch. Auf eine Filiale kommen in Österreich rund 2.100 Einwohner, das entspricht in etwa dem Niveau von Italien, Spanien und Deutschland. In Finnland sind es demgegenüber 5.200 Einwohner je Filiale, in den Niederlanden etwa 9.600. Wir sollten jetzt nicht unbedingt den Niederlanden nacheifern. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Aber in der Mitte sind wir noch nicht.

profil: Um den finnischen Wert zu erreichen, müsste die Filialzahl mehr als halbiert werden.

Nowotny: Es ist ja nicht so, dass in der Vergangenheit nichts passiert wäre. Wir zählen heute 3.967 Bankfilialen in Österreich, es waren auch einmal mehr als 5.000. Wir haben in Österreich sehr große dezentrale Sektoren (Anm: Sparkassen, Raiffeisen, Volksbanken) und zahlreiche regional verankerte Banken, was durchaus Vorteile bringt – aber eben auch Kostenprobleme. Eine Revolution wird es hier jedenfalls nicht geben, mehr eine Evolution.

profil: Die OeNB bemängelt auch die vergleichsweise hohe Anzahl an faulen Krediten. Laut einer internen Aufstellung liegt die sogenannte Non-Performing-Loan-Quote in Österreich bei 6,6 Prozent, ziemlich genau das Doppelte des deutschen Werts.

Nowotny: In den etwas höheren Zahlen für Österreich sind im Wesentlichen auch die Entwicklungen des Geschäfts in Zentral- und Osteuropa enthalten. Dort haben wir höhere non performing loans. Wenn ich Österreich isoliert sähe, dann kämen wir etwa auf den deutschen Wert. Auch hier gab es übrigens eine deutliche Verringerung, weil das Geschäft in Osteuropa zum Teil zurückgefahren wurde und wird. Wir sind hier in keiner bedenklichen Situation.

profil: In dieser Aufstellung bezeichnen die Experten Ihres Hauses den Anteil der faulen Kredite aber als „relativ hoch“.

Nowotny: Die internationale Positionierung der österreichischen Banken ist heute sehr gut. Wir haben als Bankenaufsicht starken Einfluss genommen, um zu vernünftigeren Dimensionen zu kommen. Zu große Risiken wurden abgebaut, die Refinanzierungsstruktur wurde verbessert. Sehr wichtig war auch, dass das Thema Hypo Alpe-Adria gelöst wurde, das war wie eine dunkle Wolke. Das heißt aber nicht, dass nicht noch weiterer Verbesserungsbedarf besteht. Das Osteuropageschäft bringt Vor- und Nachteile. In Summe haben die Vorteile doch  überwogen. Es war richtig und wichtig, dass Österreichs Wirtschaft und insbesondere die Banken die Chance der Ostöffnung massiv ergriffen.

profil: Vielleicht zu massiv.

Nowotny: Es gab eine Zeit, da war die Dynamik sicher zu groß. Ein Bankvorstand hat sich einmal damit gerühmt, jede Woche in Osteuropa eine neue Filiale zu eröffnen. Das ist vom Risiko her niemals ausreichend kontrollierbar, dazu wurden die makroökonomischen Risiken in Zentral- und Osteuropa unterschätzt. Und wir haben auch gesehen, dass es gefährlich sein kann, die Expansion als eine Art Kolonialisierungsprozess zu sehen.

profil: War es nicht genau das? Nach der Ostöffnung war immer wieder von der „Erschließung der ehemaligen Kronländer“ die Rede.

Nowotny: Die klugen Menschen im Bankgeschäft, und da gab und gibt es viele, haben das nie so gesehen. Es ist manchmal so erschienen und es wurde in manchen dieser Staaten bisweilen auch so empfunden. Das ist mittlerweile doch deutlich anders. Die in Österreich tätigen Banken mit Ostexposure sind in gewissem Sinn nicht mehr nur österreichische Banken, sondern eher schon zentraleuropäische Banken. Das ist absolut zukunftsträchtig.

profil: Sie stehen als Gouverneur der OeNB auch der Bankenaufsicht vor. Gleich über die Straße sitzt die Finanzmarktaufsicht. Deren Direktor Helmut Ettl ist auch ein Chef der Bankenaufsicht. Muss ich verstehen, warum wir in Österreich zwei Bankenaufsichten haben?

Nowotny: Das hat historische Gründe. Die neue, unabhängige FMA hat sich aus der Bankenaufsicht in der Budgetsektion des Finanzministeriums heraus entwickelt, daher spielt das Finanzministerium dort eine vergleichsweise stärkere Rolle. Da gibt es einen Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender vom Ministerium entsandt wird, dazu auch einer der beiden FMA-Geschäftsführer. Der andere wird von der Notenbank gestellt, ich bin als Gouverneur der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der FMA. International wird das übrigens sehr unterschiedlich gehandhabt. In Deutschland ist das mit der Bundesbank und der BaFin ganz ähnlich, wobei der Einfluss des Finanzministeriums dort noch viel stärker ist. Es gibt auch Modelle, wie in den Niederlanden, wo der Aufsichtsbereich für Banken und Versicherungen bei der Notenbank liegt und dafür die Kapitalmarktaufsicht bei einer eigenen Institution.

profil: Nun wird also einmal mehr über eine Reform der Aufsicht debattiert. Am Ende wird es wohl mehr ein Reförmchen.

Nowotny: Wir als Notenbank hätten uns einen engeren Zusammenschluss durchaus vorstellen können, aber da fehlt es wohl am politischen Willen. Ich denke, dass wir mit dem Kompromiss, der in einem Aufsichtsreformgesetz münden soll, positive Effekte erzielen können.

profil: Die da wären?

Nowotny: Die gesetzlichen Grundlagen werden in wichtigen Bereichen geändert. Für uns als Aufsicht wird das Effizienzvorteile bringen, umgekehrt soll es für die Beaufsichtigten Vereinfachungen und mehr Rechtssicherheit geben. Wir haben für die großen Banken ja ohnehin die Regelungen auf europäischer Ebene. Für die kleinen Banken ist nun vorgesehen, dass wir stärker zu einem sogenannten risikoorientierten Ansatz übergehen. Das heißt, wir müssen nicht mehr jede Bank mit gleicher Intensität prüfen, sondern können nach Geschäftsmodell und Größe differenzieren.

profil: Was genau sind „kleine Banken“?

Nowotny: Es geht um Banken in einem Haftungsverbund – Stichwort Sparkassen, Stichwort Raiffeisen –, die man nicht so intensiv prüfen muss, wie Häuser, die auf eine Stand-Alone-Basis arbeiten. Das macht in Österreich zahlenmäßig schon einen ziemlich großen Bereich aus.

profil: Irgendwie bleibt da jetzt die Botschaft haften, einzelne Kreditinstitute werden in Zukunft nicht mehr ganz so intensiv und streng geprüft wie andere.

Nowotny: Das liegt in der Natur der Sache. Die Großen unterliegen unverändert dem SSM (Anm.: Single Supervisory Mechanism, Einheitlicher Aufsichtsmechanismus) der Europäischen Zentralbank. Die kleineren Häuser sollen in der neuen Struktur jedenfalls merklich entlastet werden, und mehr Zeit haben, sich um ihre Kunden zu kümmern. Analog zum steuerrechtlichen Verfahren soll es künftig auch zu einem früheren Zeitpunkt verbindliche Prüfabschlüsse und damit mehr Rechtssicherheit geben, das soll sich nicht mehr unendlich lange hinziehen. Per saldo werden wir aber nichts umsetzen, was nicht fachlich begründet wäre. Wir wollen da keine Scheinlösungen. Lieber weniger machen und das vernünftig, als Auslagenstücke herzustellen.

profil: Die USA haben sich mittlerweile von der Nullzinspolitik verabschiedet, die Eurozone nicht …

Nowotny: So ganz trifft das nicht zu. In der Zinsdiskussion wird meines Erachtens nie die gesamte Zinskurve gesehen. Der unmittelbare Einfluss der Notenbank ist ja nur im kurzfristigen Bereich gegeben. Der langfristige Bereich ist zwar auch durch Käufe der Notenbanken beeinflusst (Anm: etwa Anleihen), primär aber marktbestimmt. Und die langfristigen Zinsen sind tendenziell bereits gestiegen, wenn auch mit Schwankungen. Das hilft langfristigen Anlegern wie Lebensversicherern und Pensionskassen. Am kurzen Ende, dort wo die Notenbank Einfluss nehmen kann, ist es so, dass Europa sich noch nicht in der Konjunkturlage der USA befindet. Die Amerikaner haben de facto Vollbeschäftigung und eine Inflationsrate nahe zwei Prozent, in der Eurozone haben wir rund zehn Prozent Arbeitslose und die Inflation zieht nur langsam an.

profil: Die Europäische Zentralbank hält an ihrer Zinspolitik also unbeirrbar fest.

Nowotny: Für 2017 haben wir uns festgelegt. Wir setzen die Anleihenankäufe auf reduziertem Niveau fort und belassen die Zinsstrukturen so, wie sie sind. In der zweiten Jahreshälfte treffen wir dann die Entscheidungen für die Zeit nach Ende 2017.

profil: Im 25-köpfigen EZB-Rat, dem auch Sie angehören, sitzen gerade einmal zwei Frauen. Im Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank ist das Verhältnis moderat besser, da sind vier von 14 Personen Frauen, während das OeNB-Direktorium aus vier Männern besteht. Warum ist das so?

Nowotny: Das sind politische Entscheidungen. Dort, wo ich selbst mitwirken kann, ist das Verhältnis besser. Die jüngsten Neubesetzungen der zweiten Ebene waren durchwegs Frauen.

profil: Wie viele waren es denn?

Nowotny: Zwei. Ich habe ja nicht jeden Tag die Möglichkeit, Direktoren bzw. Direktorinnen zu bestellen. Mittlerweile ist aber ein Drittel unserer Schlüsselkräfte weiblich.

profil: Da sitzen Männer und unterhalten sich über Frauenquoten. Das ist immer irgendwie schräg.

Nowotny: Für mich ist das ein wichtiger Punkt. Man muss hier meines Erachtens viel früher ansetzen und gerade jungen Frauen eine kontinuierliche Berufslaufbahn ermöglichen. Wir fahren in der Nationalbank bekanntlich ein strenges Sparprogramm. Davon ausgenommen ist unser Kindergarten. Wir haben da viel investiert, und mittlerweile das zweite Mal erweitert. Das hat den Effekt, dass wir hochqualifizierte Mitarbeiterinnen aus Anwalts- aus Wirtschaftsberatungskanzleien bekommen, die durchaus bereits sind auf Gehalt zu verzichten, weil sie diese wichtigen Sozialleistungen bei uns haben. Wir sind da wirklich ein Musterbetrieb.

profil: Und die Väterkarenz?

Nowotny: Auch die nimmt zu. Erst vor einigen Tagen hat sich bei mir ein Kollege in die Väterkarenz verabschiedet.

profil: Für einen Manager Ihrer Generation muss das ein ziemlicher Kulturwandel sein. Als Sie ins Berufsleben einstiegen, war von all dem eher keine Rede.

Nowotny: Die Bereitschaft, in die Väterkarenz zu gehen, nimmt langsam zu. Ich habe als junger Vater zwar selbst nie Windeln gewechselt. Als Großvater habe ich das aber gelernt.

profil: Beschämend, wenn man feststellt, wie einfach das Windelwechseln eigentlich ist.

Nowotny: Wenn das Kind dabei quengelt, ist das gar nicht so einfach.

profil: Werden die Kinder von heute morgen noch mit Bargeld bezahlen? Die Abschaffung des 500ers …

Nowotny: Ich habe mich als Gouverneur der Oesterreichischen Notenbank ganz klar deklariert: Ich war gegen die Abschaffung des 500ers. Ich halte das nach wie vor für keine gute Entscheidung. Mag sein, dass dies einen Effekt im Bereich der Schwarzgeld- und Verbrechensbekämpfung haben könnte. Andererseits erhöht das die Nervosität. Und gerade eine Notenbank sollte für Ruhe und Stabilität sorgen, in einer Zeit zumal, in der es ohnehin viel Unruhe gibt. Eine Abschaffung des Bargelds befürworten wir jedenfalls in keiner Weise.

profil: Wer ist wir? Die Oesterreichische Nationalbank? Die Europäische Zentralbank?

Nowotny: Die OeNB, aber in diesem Sinne auch die EZB. Die Versorgung mit Bargeld ist eine ihrer zentralen Aufgaben. Das ist so in den EZB-Statuten festgelegt, die ja auch Teil der europäischen Verträge sind. Die Abschaffung des Bargelds könnte nur durch eine Änderung der EU-Verträge erfolgen. Und diese Abstimmung schau ich mir an. Das ist doch eine Pseudodiskussion. Für eine Abschaffung des Bargelds gibt es in der EZB keine einzige Stimme. Und pro domo gesprochen: Wir haben ja hier in Wien auch eine Druckerei, die gerne bereit ist, dieses Bargeld zu produzieren.