Gouverneur Nowotny im Interview mit dem Magazin „Trend" – 05.10.2017

Veröffentlicht im TREND, Ausgabe 40/2017, von Kamil Kowalcze.

TREND: Herr Nowotny, die alten 500- und 1.000-Schilling-Noten können nur noch bis April 2018 in Euro umgetauscht werden. Gibt es eigentlich Momente, in denen Sie sich den Schilling zurückwünschen?

NOWOTNY: Nein, mit dem Euro haben wir einen großen Schritt vorwärts gemacht. Als Österreicher allein hätten wir es in der Wirtschaftskrise nach 2008 wesentlich schwerer gehabt. Im Euroraum haben wir einen Schutz, der gerade für ein kleines Land besonders wichtig ist.

Der Garant für die Stabilität des Euros ist die Europäische Zentralbank (EZB). Sie verfehlt aber seit Jahren ihr wichtigstes Ziel: Die Inflation auf knapp unter zwei Prozent zu bringen.

Das Wichtigste war zunächst einmal, ein Abgleiten in die Deflation (sinkende Preise) zu verhindern. Das ist eindeutig gelungen. Wir rechnen in der Eurozone dieses Jahr mit einer Inflationsrate von 1,5 Prozent. Die Entwicklung geht also in die richtige Richtung.

Ist das Inflationsziel der EZB nicht ein Anachronismus?

Unter Ökonomen gibt es aktuell große Diskussionen darüber, ob wir durch die Globalisierung und Digitalisierung nicht vor grundlegenden Veränderungen stehen und sich damit auch die Entscheidungsspielräume von Notenbanken ändern sollten. Aber da muss man vorsichtig sein, weil eine funktionierende Wirtschaft braucht eine stabile Inflationserwartung. Das Inflationsziel darf man auch nicht als Punktlandung sehen, das wäre ökonomisch nicht argumentierbar – sondern als Ziel, das angestrebt wird. Man sollte sich nicht zum Gefangenen einer Zahl machen.

Der deutsche Bundesbankchef, Jens Weidmann, hat gewarnt, den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik nicht zu verpassen. Verpassen wir ihn gerade?

Ich bin mit Weidmann weitgehend in Übereinstimmung, dass es hier nicht darum geht, abrupt zu bremsen. Das wäre gefährlich, sondern zu überlegen, wie wir den Fuß vom Gaspedal nehmen. Ich gehe davon aus, dass wir mit Beginn des kommenden Jahres in eine vorsichtige Geschwindigkeitsverringerung übergehen.

Die EZB kauft ja sogar Unternehmensanleihen an – darunter von großen Glückspielkonzernen, Ölfirmen und Industriegiganten. Ist es nicht absurd, dass die EZB Anleihen von Unternehmen erwirbt, die gar kein Problem haben, sich selbst am Markt zu finanzieren?

Der Ankauf dieser Unternehmensanleihen kann tatsächlich verzerrende Effekte haben. Ich bin dafür, dass wir diesen Bereich künftig nicht mehr ins Programm aufnehmen.

Wie groß ist die Gefahr, dass die in dem Ausmaß bisher unvergleichbare Politik des billigen Geldes Verwerfungen am Markt erzeugt und damit zur nächsten Blase führt?

Es ist ohne Zweifel etwas, worauf man aufpassen muss. In den USA sehen wir am Aktienmarkt Anzeichen von sehr hohen Kurs-Gewinn-Verhältnissen und damit eine erhöhte Gefahr für abrupte Abstürze. Wir beobachten natürlich auch die Entwicklung in Europa. Allerdings ist eine generelle Überbewertung der Aktienmärkte bei uns noch nicht zu sehen.

Gehen Pensionskassen, Versicherungen und Private-Equity-Firmen auf der Suche nach Renditen zu hohe Risiken ein?

Da ist eine gewisse Problematik vorhanden. Aber wir haben mittlerweile Instrumente entwickelt, um bei allfälligen Blasenbildungen eingreifen zu können. Man muss diese Dinge im Auge behalten.

Wo muss man in Österreich genauer hinschauen?

Der sensibelste Bereich sind in Österreich die Mieten. Wir sehen hier zwar keine Blasenbildung, aber speziell in Wien gibt es eine sehr starke Preisdynamik. Hier ist es entscheidend, die Angebotsseite zu erhöhen und dadurch die starke Mietpreiserhöhung abzudämpfen.

Wie könnte man das lösen? Mit dem Ausbau des sozialen Wohnungsbaus?

Ja, der soziale Wohnbau spielt hier sicher eine Rolle. Vor allem die Verfügbarkeit von Grundstücken ist ein wichtiger Punkt: Das Horten von Grundstücken könnte für einen gewissen Zeitraum durch einen Bebauungszwang erschwert werden. Außerdem hoffe ich, dass wir endlich die schon lange geplante neue Wohnbauinvestitionsbank ins Leben rufen können. Das ist eine sehr mühsame Angelegenheit: Wir warten auf eine wettbewerbsrechtliche Entscheidung der EU-Kommission, weil eine Bundesgarantie und die Europäische Investitionsbank involviert sind. Ich hoffe, dass die Kommission hier eine wirtschaftlich realistische Position einnimmt.

Klar positioniert hat sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit seiner Forderung, den Euro in allen EU-Mitgliedsstaaten einzuführen. Wie sehen Sie das?

Als kurzfristiges Ziel für die gesamte EU sehe ich das nicht so. Es stimmt, dass mit Ausnahme von zwei Staaten alle EU-Mitglieder verpflichtet sind, den Euro einzuführen – aber nur, wenn sie bestimmte ökonomische Bedingungen erfüllen. Wir haben aus den vergangenen Entwicklungen gelernt und müssen einen stärkeren Wert auf die Nachhaltigkeit dieser Bedingungen legen und uns die realwirtschaftlichen Kennzahlen anschauen. Zum Beispiel: Wie groß ist das Pro-Kopf-Einkommen? Wie sieht die langfristige Entwicklung der Leistungsbilanz aus? Wie hoch ist die Arbeitslosigkeit? Einige EU-Mitglieder, wie Tschechien, wären ökonomisch in der Lage, den Euro einzuführen, haben aber derzeit keine Lust darauf.

Die Stimmung in Europa kippt doch gerade nicht nur in Tschechien: Ist der Siegeszug rechtspopulistischer Parteien nicht ein Hilfeschrei der Verlierer unseres Wirtschaftssystems? Befeuern die Notenbanken mit der Geldschwemme nicht diese Entwicklung?

Nein, ganz im Gegenteil: Die Notenbanken haben durch die expansive Geldpolitik eine schwere Wirtschaftskrise verhindert. Nichts ist sozial ungerechter als hohe Arbeitslosigkeit. Jeder Notenbanker der westlichen Welt hat 2008 mit folgendem Bewusstsein im Hinterkopf gehandelt: Die Fehler, die die Notenbanken in den 1930iger-Jahren gemacht haben, dürfen wir nicht wiederholen – ein Einbruch der Weltwirtschaft mit all seinen schrecklichen politischen Folgen muss verhindert werden.

Wo sehen Sie die Ursachen dieser Entwicklungen?

Die Zunahme rechtspopulistischer Kräfte liegt in einer nicht wirklich erfolgreich gemanagten Globalisierung, die neben Gewinnern auch Verlierer hervorgebracht hat. Aber das kann eine Notenbank nicht kompensieren.

Während Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen unter der niedrigen Verzinsung ihrer Sparbücher leiden, profitieren Unternehmen und Vermögende von der Geldflut am Finanzmarkt. Nehmen Sie das einfach zur Kenntnis oder tut es Ihrer sozialdemokratischen Seele doch ein bisschen weh?

Das hat nicht unmittelbar etwas mit Sozialdemokratie zu tun. Die Verteilungswirkung von Geldpolitik ist etwas, was die Notenbanken weltweit sehr beschäftigt. Aber letztlich sind unsere primären Aufgaben die Geldpreis- und Finanzmarktstabilität und nicht verteilungspolitische Fragen. Diese sind die Aufgabe der Staaten.

Die EZB ist mächtiger als der Großteil aller europäischen Staaten. Ist das demokratiepolitisch nicht gefährlich?

Die EZB agiert ja nicht im luftleeren Raum. Sie hat das demokratisch legitimierte Mandat, für Preisstabilität zu sorgen – und aus historischen Erfahrungen hat man eine starke, unabhängige Notenbank geschaffen.

Aber die Machtfülle der EZB geht ja mittlerweile weit über die ursprüngliche Idee hinaus.

Das haben die Notenbanken nie angestrebt. Wir haben keine Krise gewollt, sie ist gekommen – und zwar durch Fehlentwicklungen, die aus dem politischen Bereich stammen, etwa durch eine vorschnelle, zu weit gehende Deregulierung in den USA. Die Notenbanken waren es, die die Folgen dieser – außerhalb der Notenbank entstandenen – Krise abmildern und kompensieren mussten.

Während der klassische Bankensektor schwächelt, herrscht in einem anderen Bereich Goldgräberstimmung: Jeder spricht von Bitcoins, immer mehr Menschen investieren in digitale Währungen. Halten Sie den Hype für gefährlich?

Ja, definitiv. Ich halte diese Entwicklung für gefährlich und zutiefst unseriös. Bitcoin ist keine Währung, sondern es ist hoch spekulativ und volatil, unterliegt auch keiner Aufsicht. Die Kursbewegungen der jüngsten Zeit verdeutlichen das. Wir sagen daher mit Nachdruck: Es muss jedem bewusst sein, dass er damit ein hohes Risiko eingeht.

China hat sogenannte ICOs (Anm: Initial Coin Offerings, Angebote einer neuen Kryptowährung) verboten. Wäre so ein Verbot auch in Europa sinnvoll?

Wir diskutieren in der EZB, konkrete rechtliche Restriktionen zu setzen. In China besteht eine besondere Problematik, weil Bitcoins dort als Instrument zur Kapitalflucht und zum Umgehen von rechtlichen Regelungen verwendet werden. Diese Dimension hat es bei uns noch nicht angenommen.

Eine immer stärkere Bedeutung gewinnen auch Fintechs, digitale Start-Ups im Finanzbereich. Wird das den bereits angeschlagene Bankensektor noch einmal aufwirbeln?

Fintechs haben in vielen Fällen ihre ökonomische Berechtigung. Da gibt es jetzt eine unendlich große Vielzahl, es wird also zu einem Überleben der Tüchtigsten kommen. Es ist allen Banken klar, dass sie vor technischen Entwicklungen stehen, die sie nicht ignorieren dürfen.

Wie groß ist noch der Konsolidierungsbedarf in Österreichs Bankenbranche?

In den letzten Jahren hat es bereits eine deutliche Konsolidierung gegeben: die Anzahl der Banken und Bankfilialen hat abgenommen. Im internationalen Vergleich sind wir aber noch immer ein Land mit einer hohen Bankstellendichte. Es gibt keine Zweifel, dass hier eine weitere Konsolidierung nicht nur erforderlich ist, sondern auch geschehen wird.

57 ehemalige OeNB-Mitarbeiter sind gegen eine Senkung ihrer Pensionen vorgegangen – bis zum Obersten Gerichtshof. Der hat nun ihren Einspruch abgelehnt. Symbolisiert das nicht die Realitätsferne von Notenbankern, wenn sie so vehement gegen eine zehnprozentige Kürzung ihrer im Schnitt 17.500 Euro pro Monat hohen Pension vorgehen?

Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Das ist eine kleine Gruppe von Notenbankern mit sehr hohen Pensionen, die hohe Positionen innehatten. Das ist nicht die Welt der heutigen Notenbank. Das Dienstrecht wurde mehrmals geändert und entspricht heute den für die Bankenbranche üblichen Regelungen.

Wie sieht es mit der Kostenstruktur der OeNB aus?

Vor zwei Jahren haben wir ein Kostensenkungsprogramm eingeleitet, mit dem wir bis 2020 rund 100 Millionen Euro einsparen wollen. Danach sollen die jährlichen Kosten um gut 20 Millionen Euro sinken. Bis jetzt haben wir die Sachaufwände deutlich reduziert, bei den Personalkosten gibt es tendenziell Rückgänge, die aber zum Teil wieder durch einen erhöhten Personalbedarf für die Bankenaufsicht steigen.

Ihr Vertrag läuft noch bis September 2019. Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, was Sie danach machen werden?

Ja, ich ziehe mich für einige Zeit ins Salzkammergut zurück.

Gibt es einen würdigen Nachfolger innerhalb der OeNB?

Ja, gibt es. Wobei ich nicht nur von einem Nachfolger, sondern auch von Nachfolgerinnen sprechen würde.

Wer könnte das sein?

Ich würde dem Kandidaten oder der Kandidatin keinen guten Dienst erweisen, ihn oder sie zu nennen.