Gewerbeimmobilienkredite im Fokus: Wie groß ist ihre Bedeutung für die Finanzmarktstabilität?

20.09.2024

Stefan W. Schmitz

Der Sektor Gewerbeimmobilien steht seit den Zinserhöhungen im Jahr 2022 sowohl in Österreich als auch international verstärkt im Fokus des öffentlichen Interesses. Das Finanzmarktstabilitätsgremium (FMSG) stellte in seiner letzten Sitzung vom 10. Juni 2024 fest, dass von potenziellen Kreditausfällen in diesem Sektor ein erhöhtes Risiko für die Finanzmarktstabilität in Österreich ausgehen kann. Auch auf internationaler Ebene genießen Gewerbeimmobilienkredite in Österreich die erhöhte Aufmerksamkeit des European Systemic Risk Board (ESRB), der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Im Rahmen der Reihe von Blogbeiträgen der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) zum Thema „Immobilienkredite und Finanzmarktstabilität“ widmen sich die nächsten Beiträge daher den Methoden der OeNB-Systemrisikoanalyse im Bereich der Gewerbeimmobilienkredite, auf der die oben erwähnte Einschätzung des FMSG beruht. Ausgangspunkt für die Bemessung ihrer Bedeutung für die Finanzmarktstabilität ist ihre definitorische Abgrenzung von anderen Krediten sowie die Höhe des sich daraus ergebenden Exposures der österreichischen Banken.

Gewerbeimmobilienkredite – eine Abgrenzung
Die Definition von Gewerbeimmobilienkrediten ist keine einfache Aufgabe. Je nach Datenquelle und angewandter Perspektive kann ihr Volumen erheblich variieren. Für die OeNB-Systemrisikoanalyse ist es notwendig, Gewerbeimmobilienkredite klar von privaten Wohnimmobilienkrediten oder sonstigen Unternehmensfinanzierungen abzugrenzen. Es sollen jene Kredite umfasst sein, die zur Finanzierung ähnlicher Geschäftsmodelle (Errichtung/Vermietung/Verkauf/Betrieb/Verwaltung) im Bereich „Gewerbeimmobilien“ dienen und deren Ausfallwahrscheinlichkeiten und Sicherheitenwerte daher ähnlich auf realwirtschaftliche Schocks reagieren. Dazu stünden grundsätzlich drei Definitionen zur Verfügung:

  1. Sicherheitenperspektive: Sie umfasst alle von österreichischen Banken vergebene Kredite an inländische nicht-finanzielle Unternehmen, die mit Gewerbe- oder Wohnimmobilien besichert sind (inklusive nicht ausgenutzter Kreditrahmen). Dies ergibt ein Volumen von rund 141 Mrd EUR und entspricht einem Anteil von 68 % am Kreditbestand österreichischer Banken an nicht-finanzielle Unternehmen (unkonsolidierte Ebene; Stand Juni 2024). Diese sehr breite Definition umfasst auch Kredite, die nicht zur Finanzierung des Geschäftsmodells „Gewerbeimmobilien“ dienen und deren Ausfallwahrscheinlichkeit und Sicherheitenwerte daher anders auf realwirtschaftliche Schocks reagieren (z. B. gewerblicher Kredit besichert mit einer Wohnimmobilie zum Zweck der Ausweitung des Fuhrparks eines Logistikunternehmens). Sie ist daher für die OeNB-Systemrisikoanalyse weniger geeignet.
  2. Verwendungszweckperspektive: Hierbei werden Kredite (inklusive nicht ausgenutzter Kreditrahmen) an inländische nicht-finanzielle Unternehmen mit Verwendungszweck „Bau/Kauf einer Wohn- oder Gewerbeimmobilie“ berücksichtigt. Diese machen ein Volumen von rund 89 Mrd EUR aus, was einem Anteil von 43 % am Kreditbestand an nicht-finanzielle Unternehmen entspricht (Stand: Juni 2024). Dabei werden auch Kredite berücksichtigt, die nicht zur Finanzierung des Geschäftsmodells „Gewerbeimmobilien“ dienen (z. B. eine Bäckerei errichtet eine neue Filiale). Daher ist auch die Verwendungszweckperspektive für die OeNB-Systemrisikoanalyse weniger geeignet.  
  3. Spezialfinanzierungen für einkommensgenerierende gewerbliche Immobilien: International üblich ist auch diese enge Definition von Gewerbeimmobilienkrediten, bei denen die Rückzahlung und der Verwertungserlös im Falle des Ausfalls primär auf den aus dem Objekt erzielten Einnahmen beruhen. In Österreich wird dieses Volumen auf rund 70 Mrd EUR geschätzt entsprechen einem Anteil von 34 % am Kreditbestand an nicht-finanzielle Unternehmen (unkonsolidierte Ebene; Stand: Juni 2024).
  4. Sektorperspektive: Für die Bewertung des Systemrisikos stützt sich die OeNB auf die sektorale Perspektive, bei der alle an inländische nicht-finanzielle Unternehmen in den spezifischen NACE-Sektoren „Grundstücks- und Wohnungswesen“ (L) sowie „Hochbau“ (F41) und „Spezialbau“ (F43) vergebenen Kredite berücksichtigt werden. Sie belaufen sich auf 127 Mrd EUR und entsprechen einem Anteil von 61 % am Kreditbestand an nicht-finanzielle Unternehmen (unkonsolidierte Ebene; Stand: Juni 2024). Diese Sektoren weisen eine starke Verflechtung auf. Sie haben ähnliche Geschäftsmodelle und Bilanzstrukturen und verwenden ähnliche Kreditsicherheiten. Dies zeigt sich in der hohen Korrelation der Kennzahlen für notleidende Kredite (sogenannte „non-performing loans“, kurz NPL) sowie in der gegenseitigen Abhängigkeit von Vorleistungen aus den Sektoren „Grundstücks- und Wohnungswesen“ und „Bauwesen“ in der Wertschöpfung der österreichischen Wirtschaft. Darüber hinaus ermöglicht diese Definition von Gewerbeimmobilienkrediten die Fokussierung auf eine relativ homogene Gruppe von Unternehmen, da die NACE-Sektoren so definiert sind, dass sie ähnliche Geschäftsmodelle abbilden.

Die Sektorperspektive ist die geeignetste Definition für die OeNB-Systemrisikoanalyse im Bereich der Gewerbeimmobilienkredite.

Gewerbeimmobilienkredite sind für die Finanzmarktstabilität in Österreich von großer Bedeutung
Gewerbeimmobilienkredite stellen einen hohen Anteil am inländischen Kreditbestand österreichischer Banken an nicht-finanzielle Unternehmen dar. Auch wenn es für die Zwecke der OeNB-Systemrisikoanalyse im Gewerbeimmobilienbereich notwendig ist, zwischen Gewerbe- und Wohnimmobilienkrediten zu unterscheiden, waren die Ausfallraten beider Kreditformen besonders in historischen Krisen häufig miteinander korreliert. Zusammen mit den privaten Wohnimmobilienkrediten in Höhe von rund 130 Mrd EUR geht es also bei „Immobilien und Finanzmarktstabilität“ um rund 257 Mrd EUR und damit rund 60 % aller Kredite österreichischer Banken (unkonsolidierte Ebene) an die österreichischen Unternehmen und Haushalte. Die Stabilität beider Kreditsegmente ist für die Finanzmarktstabilität in Österreich von großer Bedeutung. Die Ausfallraten bei Wohnimmobilienkrediten sind seit Mitte 2022 in Österreich trotz einer Phase erhöhter Lebenshaltungskosten und gestiegener Zinsen nicht stark gestiegen. Anders als in historischen Krisen ist ihre Korrelation mit den Ausfallraten von Gewerbeimmobilien niedrig. Zu dieser positiven Entwicklung haben neben der Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM-V) auch die staatlichen Maßnahmen zur Kompensation der erhöhten Lebenshaltungskosten sowie die trotz Rezession noch relativ niedrige Arbeitslosigkeit beigetragen.

Nicht nur halten praktisch alle österreichischen Banken Gewerbeimmobilienkredite, vielmehr stellen diese bei vielen Banken einen Großteil des Unternehmenskreditgeschäfts dar. Sie haben daher eine große Bedeutung für die Finanzmarktstabilität in Österreich. Eine österreichische Besonderheit ist dabei die Bedeutung der gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV), die rund 20 % der inländischen Gewerbeimmobilienkredite vergeben, wobei der größte Anteil auf den Bereich „Grundstücks- und Wohnungswesen“ entfällt (Stand: Juni 2024). GBV weisen ein höheres Eigenkapital und ein deutlich geringeres Kreditrisiko auf als gewinnorientierte Gewerbeimmobilien-Schuldner. Dies zeigt sich auch empirisch in deutlich niedrigeren Ausfallquoten.

Gewerbeimmobilienkredite mit dynamischem Ausfallgeschehen
Das Exposure österreichischer Banken im Bereich der Gewerbeimmobilienfinanzierung ist im internationalen Vergleich auf Basis der Sicherheitenperspektive auffällig: Im EU-Vergleich rangiert Österreich mit einem diesbezüglichen Anteil von rund 13 % an der konsolidierten Bilanzsumme an fünfter Stelle. Zudem steigen die Ausfälle in diesem Kreditsegment – auch im EU-Vergleich – stark an.

Die Grafik zeigt, dass die NPL-Quote (linke Achse) vom zweiten Quartal 2021 bis zum zweiten Quartal 2024 von 1 % auf über 4 % anstieg. Mitte 2024 überstieg bei 30 % der Gewerbeimmobilienkredite die Kredithöhe den Sicherheitenwert bzw. lagen keine Sicherheiten vor. Banken stärken ihre Risikovorsorgen, jedoch hinken diese den Ausfällen hinterher. Daher fällt die Coverage Ratio (Kreditrisikovorsorge in Relation zu den NPLs; rechte Achse) von einem Höchststand von fast 40 % (drittes Quartal 2021) auf nunmehr unter 30 % (zweites Quartal 2024). Die Systemrisikoeinschätzung der OeNB auf Basis von international etablierten Methoden zeigt, dass ungünstige makroökonomische Szenarien zu erheblichen Verlusten im österreichischen Bankensektor führen können. Auch das FMSG sowie internationale Institutionen stellen erhöhte Systemrisiken für die Finanzmarktstabilität in Österreich fest (ESRB, EZB und IWF). Vor diesem Hintergrund evaluiert das FMSG makroprudenzielle Maßnahmen, um die Fähigkeit der Banken zu erhöhen, mögliche Verluste in diesem bedeutenden Kreditsegment zu absorbieren.

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.