Zwischen Unabhängigkeit und Kontrolle

Brief von Finanzminister Graf Stadion an den ersten Gouverneur der k.k. privil. oesterr. National-Bank Graf Nemes vom 17. Juni 1816

Graf Stadion (rechts) erhält von Kaiser Franz I (links) die Statuten der privilegirten oesterreichischen National-Bank, 1817
Graf Stadion (rechts) erhält von Kaiser Franz I (links) die Statuten der privilegirten oesterreichischen National-Bank, 1817

Notenbanken werden gerne als die „Bank der Banken“ bezeichnet, als Hüterinnen der Währung und der Stabilität des Geldwertes. Diese edle Aufgabe wurde ihnen zumindest in ihren Anfangszeiten nicht unkontrolliert überlassen. Da sie von Regierungen ins Leben gerufen und mit ihrem Aufgabenspektrum betraut wurden, waren Notenbanken bis zu einem gewissen Grad von Herrschenden auch abhängig. So erging es auch der 1816 gegründeten privilegirten oesterreichischen National-Bank (kurz: National-Bank).

Durch die langjährigen Napoleonischen Kriege war das österreichische Wirtschafts- und Finanzwesen stark zerrüttet. Um es wieder zu stabilisieren, brauchte der Staat ein verlässliches Institut, das die allgemeine Finanzmisere bereinigen und bei Bedarf immer wieder neue Geldmittel zur Verfügung stellen konnte. Als „Bank der Regierung“ konstituiert, hatte die National-Bank die Aufgabe, der Schuldenverwalter des Staates zu sein und gleichzeitig als dessen Geldleiher die Kriege zu finanzieren. Eine Gratwanderung für die junge Notenbank und besonders in Krisenzeiten eine Herausforderung. 

Der „Schöpfer“ der National-Bank, der damalige österreichische Finanzminister, Johann Philipp Graf von Stadion, ließ dem neuen Bankinstitut unmissverständlich seinen Einfluss und seine Kontrolle spüren. Zwei Wochen nach dem offiziellen Gründungsdatum am 1. Juni 1816 ergingen seine ersten Weisungen an den Gouverneur der National-Bank, Graf Nemes. Dieser Brief ist auch der erste Akt überhaupt in der Geschäftstätigkeit der Notenbank und wird im Bankhistorischen Archiv als Akt Nr. 1 aus 1816 geführt.

„Ich habe die zwei Hofräthe von Kübet und Freiherrn von Pillersdorff bestimmt, ..in der Eigenschaft als landesfürstliche Commissäre bei der eingesetzten provisorischen Bankdirektion zu fungieren, an den Berathungen derselben … theil zu nehmen, Eurer Exzellenz und den Herrn Direktoren alle zur Erfüllung ihrer Bestimmung nothwendigen Aufschlüsse zu geben, und … in die Verhandlungen der Bankdirektion Einsicht zu nehmen.“

Trotz der ihr zugeschriebenen Unabhängigkeit als Verwalterin der Staatsausgaben erhielt die National-Bank mit den landesfürstlichen Kommissären sofort zwei staatliche Kontrollorgane. Diese waren vom Kaiser ernannt und besaßen ein Vetorecht, mit denen sie Beschlüsse, falls sie nicht angemessen oder den Staatsinteressen zuwiderlaufend erschienen, aufheben konnten. Über die Verhandlungen der Bankdirektion berichteten sie unmittelbar dem Finanzminister, der somit die Kontrolle über die Vorhaben des Noteninstituts hatte. Widerspruch seitens des Gouverneurs war nicht vorgesehen, etwaige Unstimmigkeiten wollte Graf Stadion persönlich „ansprechen“: „Ich habe demnach die Ehre, Eure Exzellenz zu ersuchen, die Bankdirektion davon [= von der Teilnahme der Kommissäre an den Sitzungen der Bankdirektion] in die Kenntnis zu setzen, und in allen derjenigen Fällen, wo Eure Exzellenz es nicht nothwendig finden, sich unmittelbar an mich zu wenden.“

Finanzminister Graf Stadion war nicht der einzige, der seinen Einfluss gegenüber der National-Bank ausspielte. Staatskanzler Fürst Metternich hatte während seiner Regierungszeit, in der Überwachung und autoritäre Politik dominierten, die Leitung der National-Bank öfter an ihre „patriotischen Pflichten“ erinnert. Eingefordert wurden Geldvorschüsse für die Staatsführung, die das Noteninstitut aus gutem Grund – aber erfolglos – ablehnen wollte. Tatsächlich litt ab 1820 der Wert des Geldes durch diese Kredite und der Metallschatz der Notenbank schrumpfte bedrohlich.

Für viele weitere Jahrzehnte musste die National-Bank die Balance in diesem Spannungsfeld zwischen staatlichem Zugriff und dem Streben nach Unabhängigkeit finden.