Unser Geld im digitalen Zeitalter

Autor: Beat Weber

Wer dieser Tage einkauft, spürt den Trend zur Digitalisierung nicht nur online, sondern auch an der Supermarktkassa: Um Kontakte zu reduzieren, wird die Kundschaft vermehrt zu Kartenzahlungen ermuntert, etwa durch Erhöhung des Betrags, der ohne PIN-Eingabe möglich ist.

An der Güte und Beliebtheit von Bargeld ändert das nichts. EZB-Tests zeigen: Es besteht keine erhöhte Corona-Infektionsgefahr durch Bargeld. Die Nachfrage nach Bargeld am Bankomaten stieg mit Ausbruch der Krise sogar vorübergehend stark an und wurde vom Eurosystem erfüllt. Daran, dass Menschen in Krisenzeiten gern ihre Bargeld-Vorräte aufstocken, hat sich nichts geändert.

Allerdings könnten krisenbedingte Verhaltensanpassungen den bisherigen Trend zum digitalen Bezahlen nachhaltig beschleunigen.

Währungen und Digitalisierung

Bedeutet das, dass die Zukunft digitalen Währungen gehört?

Für eine stärker digitale Zukunft ist der Euro gut gerüstet. Denn den Euro gibt es seit seiner Geburtsstunde auch in digitaler Form. Wer bei Geld zunächst an Bargeld (Banknoten und Münzen) denkt, mag hier stutzig werden: Wie ist das zu verstehen?

Geld hat unterschiedliche Gesichter. Wir können z. B. an der Supermarktkassa mit Bargeld zahlen oder wir können „unbar“ zahlen. Unbar bedeutet vorwiegend, dass wir digitale Guthaben bei Banken mittels Zahlschein, Onlinebanking, Bankomatkarte oder Smartphone übertragen. Beide Geldformen tragen in unserem Währungsraum denselben Namen „Euro“ und haben denselben Wert: Ein Euro-Bankguthaben muss jederzeit in die gleiche Summe Euro-Bargeld umwandelbar (also abhebbar) sein, etwa am Bankomaten.

Umgekehrt kann ich auf ein bestehendes Bankguthaben Bargeld einzahlen, um eine Gutschrift in gleicher Höhe zu erhalten. Hinter diesen beiden Geldformen stehen unterschiedliche Verantwortliche: Bargeld wird ausschließlich von der Zentralbank produziert und muss von Banken erworben werden, um Barabhebungen ihrer Kundschaft zu ermöglichen. Digitale Euro-Guthaben sind für die Kundschaft nur bei lizensierten und beaufsichtigten Finanzinstituten, v. a. Banken, erhältlich. Die Vermittlung barer und die Schaffung unbarer Zahlungsmittel für die Kundschaft erfolgt also hauptsächlich über Banken, während die Zentralbank über die Versorgung und Beaufsichtigung der Banken die Qualität des Geldes (Wertstabilität, Fälschungssicherheit, ausreichende Verfügbarkeit etc.) für die Allgemeinheit sichert.

Brauchen wir digitales Zentralbankgeld für alle?

Wenn in letzter Zeit häufig über „digitales Zentralbankgeld“ gesprochen wird, dann geht es um ein von der Zentralbank erzeugtes digitales Zahlungsmittel in Euro, das für private Haushalte und Firmen verfügbar ist, eine Art Guthaben bei der Zentralbank, das für alle zugänglich ist. Ein solches Instrument gibt es bislang nicht. Digitale Guthaben bei der Zentralbank können derzeit nur Geschäftsbanken erhalten, um untereinander Zahlungen abzuwickeln und Reserven zu halten.

Vereinzelte Stimmen aus Politik, Wirtschaft und Medien fordern die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung im Euroraum. Doch bislang ist nicht geklärt, welche Vorteile es hätte, wenn die Zentralbank ein solches Zusatzangebot auf den bereits gut ausgestatteten Markt für digitale Zahlungsmittel im Euroraum brächte, ohne dessen Qualität zu beeinträchtigen. Im Eurosystem sammelt derzeit eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung aller nationalen Zentralbanken neueste Beobachtungen, Ideen und Erkenntnisse zur Frage, ob und in welcher Weise sich das Eurosystem in diesem Bereich stärker engagieren soll. Ein Bericht ist im Lauf des Jahres 2020 zu erwarten. Die anhaltende Ausgabe von Bargeld ist davon unberührt.

Bis dahin liegt der Schwerpunkt des Eurosystem darauf, die Infrastruktur für digitales Bezahlen in Euro laufend zu verbessern und zukunftsfit zu halten, etwa durch das Vorantreiben der Möglichkeiten für schnellere, billigere und weiträumigere Zahlungen in Euro.

Private Digitalwährungen auf dem Vormarsch?

In jüngster Zeit sorgen private Projekte für mediale Aufmerksamkeit, die Bezahlformen mit eigenen Währungen anbieten: Bitcoin wird von Fans als „Krypto-Währung“ betrachtet, und Facebook hat 2019 angekündigt, mit Partnerfirmen eine globale Digitalwährung namens „Libra“ zu entwickeln. Doch eine Herausforderung für den Euro stellen sie aus heutiger Sicht nicht dar.

Projekte, die als digitale Münzen in Fantasiewährung mit begrenzter Auflage beworben werden (z. B. Bitcoin) oder als Neuerung, mit der Geld „endlich so einfach wie ein Foto versendet werden“ könne (so Facebook-Chef Zuckerbergs Versprechen in Bezug auf Libra), basieren auf Missverständnissen darüber, was gutes Geld ausmacht. Begrenzte Auflage ist kein Qualitätskriterium für Geld, sondern für Sammlerobjekte, weil starke Wertschwankungen die Folge sein können. Für Geld hingegen ist Wertstabilität gefragt, also dass ich zum Beispiel Tag für Tag mit 5 Euro Milch und Brot kaufen kann, und nicht einen Monat darauf bereits 10 oder 15 Euro für denselben Einkauf brauche. Und im Gegensatz zu Urlaubsfotos über soziale Netzwerke wollen Menschen ihr Geld in der Regel keinesfalls bedenken- und schrankenlos teilen. Dass das Libra-Konsortium im April 2020 angekündigt hat, seinen Schwerpunkt von der Schaffung einer neuen globalen Währung auf Libra-Varianten in Euro, Dollar und anderer etablierter Währungen zu verlegen, ist ein erster Hinweis auf einen Lernprozess der Verantwortlichen, auch wenn selbst nach dieser Wende noch allzu viele Fragen in Bezug auf Praxistauglichkeit von Libra offen bleiben.

Verantwortung für eine Währung zu übernehmen, bedeutet, den Geldbedarf der Wirtschaft gegen angemessene Gegenleistung der Empfänger und unter Einhaltung des Auftrags zur Sicherung von Preisstabilität zu decken. In Krisenzeiten kann das bedeuten, dass die Bankomaten mal schneller und dichter gefüllt werden als normalerweise. Die Menschen entscheiden dann, ob sie ihre Guthaben in bar beheben oder in digitaler Form aufbewahren bzw. für Zahlungen verwenden. Form und Menge des verfügbaren Geldes sind anpassungsfähig an veränderte Umstände, sofern die Kernprinzipien (Geldausgabe nur gegen Gegenleistungen und Erhalt der Kaufkraft des Geldes) erfüllt bleiben. So kann Geld seine Rolle im Wirtschaftskreislauf erfüllen – und als stabiler Maßstab der Preise, als Zahlungsmittel und als einfachstes Wertaufbewahrungsmittel dienen. Das ist der öffentliche Auftrag, in dem Zentralbanken handeln. Weder ein herrenloses Computerprogramm (wie bei Bitcoin) noch ein Konsortium multinationaler Konzerne (wie bei Libra) unterstehen einem solchen Auftrag.

Und solange heimische Preise in Euro angegeben werden und stabil bleiben, wird diese Aufgabe dem Eurosystem zufallen. Es gibt auch keine Vorteile für Europäerinnen und Europäer, etwa in chinesischer Währung zu zahlen, auch wenn die chinesischen Bezahl-Apps in ein paar Monaten oder Jahren vielleicht auch digitale Zahlungsmittel der chinesischen Zentralbank anbieten.