Krisensicherer Finanzsektor: Wie der antizyklische Kapitalpuffer Banken stärkt
15.04.2025Stefan W. Schmitz
Der antizyklische Kapitalpuffer (AZKP) soll prozyklische Systemrisiken eindämmen. Diese Risiken entstehen zum Beispiel durch eine Überhitzung der Kreditvergabe in einer Boom-Phase und deren starken Einbruch in einer darauffolgenden Rezession. Dieser Blogbeitrag erklärt, wie der AZKP im Auf- und im Abschwung wirkt. Die OeNB entwickelt im Moment eine neue Methode zur Beurteilung prozyklischer Systemrisiken. Daher bieten wir hier auch einen ersten Einblick in die Überlegungen und Details dieser neuen Methode.
Was sind prozyklische Systemrisiken?
In Boom-Phasen kann ein übermäßiges Kreditwachstum einen Wirtschaftsaufschwung weiter anheizen. Dies geht oft mit niedrigen Kreditausfällen, einem positiven Beschäftigungsimpuls und steigenden Bewertungen von Sicherheiten einher. In Folge beschleunigt sich die Kreditvergabe weiter. Solch ein übermäßiges prozyklisches Kreditwachstum erhöht die Verschuldung von Haushalten und Unternehmen nicht immer auf eine nachhaltige Weise. Kredite werden besonders anfällig für Ausfälle. Dadurch kann die Stabilität des Finanzsystems langfristig gefährdet werden.
Auf den Boom folgt die Rezession. Unerwartet viele Kredite fallen aus. Banken versuchen, noch höhere Ausfälle durch eine restriktive Kreditvergabe zu vermeiden. Dies kann wieder prozyklisch wirken – negative Arbeitsmarkteffekte und sinkende Sicherheitenwerte können die Stabilität des Finanzsystems gefährden und eine Rezession noch verstärken. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten solcher stark ausgeprägter Finanzzyklen können sehr hoch sein.
AZKP soll prozyklische Systemrisiken eindämmen
Der AZKP hat den Zweck, gesamtwirtschaftliche Kosten von Krisen, die durch ausgeprägte Finanzzyklen (mit)verursacht werden, zu senken. Die Finanzmarktaufsicht (FMA) kann den Kapitalpuffer, in der Regel auf Empfehlung des Finanzmarktstabilitätsgremiums (FMSG), vorschreiben. Durch höheres Eigenkapital sollen Banken für schlechte Zeiten vorsorgen und in guten Zeiten die Kreditvergabe nicht übermäßig ausweiten. Wir sehen die positiven Effekte des AZKP im Aufschwung und im Abschwung vor allem in der Erhöhung des Eigenkapitals. Die Effekte auf das Kreditwachstum sind hingegen umstritten.
AZKP erhöht Finanzmarktstabilität
Der AZKP soll im Aufschwung die Finanzmarktstabilität stärken. Die Risiko-Bepreisung von Krediten verbessert sich durch höhere Kapitalanforderungen. Dadurch wird die Kreditvergabe nachhaltiger. Besonders für schlechter kapitalisierte Banken wird es teurer, riskantere Kredite zu finanzieren. Kredite werden vermehrt von besser kapitalisierten Banken vergeben. Letztlich halten alle Banken mehr regulatorisches Eigenkapital, was ihre Widerstandsfähigkeit in einer möglichen Rezession stärkt. Ihre Refinanzierungskosten und in der Folge jene der Realwirtschaft steigen in einer Rezession weniger stark an. All diese Effekte erhöhen die Finanzmarktstabilität.
Zudem soll im Aufschwung durch den Einsatz des AZKP übermäßiges Kreditwachstum verhindert werden. Da Eigenkapital ein knappes und teures Gut ist, kann dies dazu führen, dass sich das Kreditwachstum auf diese Weise einbremst.
Unser vorletzter Blogbeitrag hat jedoch gezeigt, dass nach Einschätzung der OeNB zusätzliche Eigenkapitalanforderungen in Höhe von 1 bis 2 Prozentpunkten nur einen geringen Effekt auf das Kreditwachstum des gesamten Bankenmarktes haben.
In der Rezession kann der AZKP durch die Aufsicht herabgesetzt werden. Die Idee dahinter: Das setzt Kapital „frei“. Die Banken können schlechte Kredite schneller gegen ihr Eigenkapital abschreiben und so ihre Bilanzen bereinigen bzw. leichter neue Kredite vergeben. Sie müssen ihre Kredite also nicht so stark einschränken wie in einem Szenario ohne AZKP. In der Folge sollte die Kreditvergabe auch während der Rezession gestärkt werden, wodurch der Abschwung weniger stark ausfallen sollte.
Es ist jedoch umstritten, ob Banken in einer Krise wirklich mehr Kredite vergeben, weil sie geringere Kapitalpuffer halten müssen. Sie könnten das freigesetzte Kapital als zusätzlichen Managementpuffer verwenden, bzw. auch ausschütten, anstatt gerade in einer Rezession mehr Kredite zu vergeben. Zudem erhöhen häufige Anpassungen des AZKP die Unsicherheit für Banken und ihre Investor:innen, was weder der Kreditvergabe noch dem Wirtschaftswachstum dient (Schmitz et al. 2021).
Auch nach Herabsetzung des AZKP muss das Bankensystem gut kapitalisiert und stabil sein
In Rezessionen steht die Widerstandsfähigkeit der Banken auf dem Prüfstand. Haben Banken ausreichend Eigenkapital, um Verluste zu absorbieren? Für die OeNB ist es daher wichtig, dass Banken auch nach einer allfälligen Herabsetzung des AZKP gut kapitalisiert bleiben. Dadurch profitieren sie von besseren Ratings und somit von besseren Refinanzierungskonditionen, insbesondere in Rezessionen (OeNB 2023). Dies stärkt die Kreditvergabe und senkt die Refinanzierungskosten für die Realwirtschaft im Vergleich zu schlecht kapitalisierten Banken. Somit kommt die Wirtschaft schneller aus der Rezession heraus. Diesem Zweck dienen strukturelle Kapitalpuffer wie der OSII-Puffer oder SyRB, aber auch mikroprudenzielle Kapitalvorschriften.
AZKP in Österreich derzeit bei 0 %: vierteljährliche Prüfung durch OeNB
Derzeit beträgt die Höhe des AZKP angesichts des relativ geringen Kredit- und Wirtschaftswachstums in Österreich 0 % (letzte Empfehlung des FMSG zum AZKP). Einmal im Quartal prüft die OeNB, ob prozyklische systemische Risiken auf dem österreichischen Finanzmarkt vorliegen. Ist dies der Fall, kann das FMSG einen AZKP für Banken empfehlen, der von der FMA verordnet wird. Das FMSG ist in Österreich gemeinsam mit der FMA und der OeNB für die makroprudenzielle Aufsicht zuständig.
Neue OeNB-Analysemethode zur Feststellung von prozyklischen Systemrisiken erhöht Effektivität und Transparenz
Die OeNB hat eine neue Methode zur Analyse prozyklischer Systemrisiken erarbeitet. Das FMSG wird diese Methode in der 45. Sitzung diskutieren.
Die bisherige Methode basierte vor allem auf dem international vereinheitlichten und standardisierten Baseler Indikator, der Kredite-BIP-Lücke. Dieser Indikator ermittelt, ob das Kreditwachstum noch im Einklang mit dem Wirtschaftswachstum steht oder dieses zunehmend überholt.
Die Erfahrung zeigte jedoch, dass die Kredite-BIP-Lücke alleine prozyklische Systemrisiken in Österreich nicht immer zuverlässig anzeigen konnte. Dies gilt auch für andere Länder des Eurogebiets. Viele von ihnen haben trotz negativer Kredit-BIP-Lücke einen AZKP gesetzt (z.B. Dänemark (2018), Irland (2018), Deutschland (2019), Belgien (2019)). Daher wird auch die OeNB in Zukunft verstärkt zusätzliche Indikatoren für die Analyse verwenden.
Hier zeigen wir erstmals den aktuellen Stand der Überlegungen zur neuen Methode für Österreich. Auch ist ein öffentlich zugängliches interaktives Dashboard geplant.
Das neue Indikatorenset: prozyklische Systemrisiken frühzeitig erkennen
Die neue Methode soll das Verhältnis zwischen realwirtschaftlicher Entwicklung und Kreditvergabe besser berücksichtigen, um prozyklische Systemrisiken frühzeitig zu erkennen. Sie steht damit im Einklang mit der entsprechenden Empfehlung des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (European Systemic Risk Board, ESRB). Zusätzlich berücksichtigt die Methode weitere Indikatoren für systemische Risiken in Phasen übermäßigen Kreditwachstums.
Das neue Indikatorenset soll aus fünf Dimensionen und mehreren Kennzahlen je Dimension bestehen (Finanzsektor, privater Sektor, Makroökonomie, Finanzmarkt und Kredit-BIP-Lücke). Der standardisierte Baseler Indikator wird weiterhin Teil des Indikatorensets sein – allerdings mit einem deutlich geringeren Gewicht.
Überschreiten Indikatoren vordefinierte Grenzwerte, weist das auf erhöhte prozyklische Systemrisiken hin. Für die Aktivierung eines AZKP werden die Anzahl der Überschreitungen und ihr Ausmaß berücksichtigt. Je mehr Indikatoren die jeweiligen Grenzwerte überschreiten, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein AZKP aktiviert wird. Wenn ein AZKP aktiviert wird, dann ist er umso höher, je größer das Ausmaß der Überschreitungen der Indikatoren ist.
Letztlich muss die subjektive Einschätzung von Expert:innen jedes Indikatorenset ergänzen. Die OeNB legt ihre Analyse dem FMSG vor, das eine Empfehlung an die FMA abgeben kann. Die tatsächliche Aktivierung des AZKP erfolgt anschließend durch die FMA.
Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.