Should I Stay or Should I Flow? – Foreign Direct Investments (FDI) in einer fragmentierten Welt

15.05.2025

Christian A. Belabed

Globale Kapitalflüsse sind im Umbruch. Während geopolitische Spannungen sowie die Konzentration globaler FDI-Ströme zunehmen (Abeliansky et al. 2024), zeigen einige Regionen überraschende Resilienz und punkten als sogenannte „Connector countries“ zwischen den Blöcken. Für Europa eröffnen sich dadurch womöglich neue Chancen. Was sagen die Daten? Wie stark beeinflusst Geopolitik die Finanzströme? Und warum sollte das Zentralbanken interessieren? Dieser Blogbeitrag ist der erste in einer Serie von Analysen zum Thema ausländische Direktinvestitionen und geopolitische Fragmentierung.

In einem aktuellen OeNB-Report richten wir den Blick auf zwei Schlüsselregionen: Indien und die ASEAN-Staaten. Beide stehen im Mittelpunkt von Neuausrichtungen globaler Lieferketten-, Großmachtrivalität und der Suche nach neuen Wachstumsmärkten. Warum Indien? Zum einen verhandelt die EU gegenwärtig ein Freihandelsabkommen mit Indien, genau wie das Vereinigte Königreich, die USA; China tut dies jedoch (noch) nicht. Zum anderem ist Indien, gemessen an der Bevölkerung, das größte Land der Welt, ein geopolitisch wichtiger Player, und damit ein zunehmend wichtiges Land der globalen Wirtschaft.

Warum ASEAN? Die südostasiatische Gruppe der ASEAN-Staaten hat in den letzten Jahrzehnten deutlich an Bedeutung für die globale Wirtschaft gewonnen. So trägt die Einbindung der ASEAN-Länder in regionale Handelsabkommen dieser Bedeutung Rechnung. Zudem ist die Region der größte FDI-Empfänger in Asien. Die Besuche des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Kambodscha, Vietnam und Malaysia Mitte April 2025 waren ebenfalls ein deutliches Zeichen in diese Richtung.

Für Zentralbanken ist die Frage der weiteren Fragmentierung der FDI-Ströme hochrelevant: Kapitalbewegungen beeinflussen Wechselkurse, Finanzierungsbedingungen, Technologietransfer, Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum (für weitere Details zur Relevanz für Zentralbanken siehe EZB 2021).

Ein abkühlender Motor der Globalisierung
In den frühen 2000er-Jahren waren FDI ein wichtiger Teil der Globalisierung. Unternehmen errichteten Produktionsstätten im Ausland, nahmen Know-how und Managementpraktiken mit und begünstigten so Technologietransfer und Produktivitätssteigerungen. Seit geraumer Zeit stottert der Motor der globalen FDI-Ströme jedoch. Gemessen am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegen die FDI-Ströme heute bei weniger als der Hälfte des Niveaus von 2007. Die verbleibenden Flüsse konzentrieren sich zudem in immer weniger Ländern. (Abeliansky et al. 2024).

Ein geopolitischer Balanceakt in zwei Grafiken
Politikwissenschaftler messen geopolitische Nähe, indem sie das Abstimmungsverhalten der Länder in der UN-Generalversammlung vergleichen.

  • Indien war Ende der 1990er-Jahre geopolitisch am weitesten von den USA entfernt und gleichzeitig vergleichsweise nah bei China. Seither haben sicherheitspolitische Initiativen wie beispielsweise der „Quad“ die Distanz zu den USA verkleinert. Die geopolitische Distanz zu China stieg zuletzt moderat an.

 

  • ​​​​​​​ASEAN liegt geopolitisch ebenfalls näher bei China als bei den USA. Seit Mitte der 1990er-Jahre sinkt die Distanz zu den USA jedoch – analog zu Indien – merkbar. Die geopolitische Distanz zu China verändert sich bisher nur geringfügig und sank zuletzt sogar.


Investitionsmuster: Konvergenz durch Diversifizierung
In Indien stammte vor 20 Jahren der Großteil der FDI-Zuflüsse (passive Direktinvestitionen) aus vergleichsweise wenigen Ländern, die FDI-Zuflüsse waren relativ konzentriert, wie Abbildung 3 zeigt. Bis 2023 hat sich dies deutlich geändert, Indiens Investorenbasis ist breiter geworden. Unter den Top-5-Investoren in Indien befinden sich aktuell der Euroraum (18,6 % aller FDI-Bestände), die USA (16,5 %), internationale Finanzzentren (15,8 %; siehe Eurostat für Definition und Länder), ASEAN-Staaten (14 %), sowie das Vereinigte Königreich (11,8 %). Bei den FDI-Abflüssen (aktive Direktinvestitionen) sieht es ähnlich aus, wenngleich es zuletzt zu einem leichten Anstieg der Konzentration kam.


Die ASEAN-Region startete von einer vorteilhafteren, weil weniger konzentrierten Investorenbasis als Indien (siehe Abbildung 4). Während sich die Konzentration der FDI-Abflüsse ins Ausland kaum veränderte, sank die Konzentration der FDI-Zuflüsse bis 2023 noch weiter. Offshore-Zentren und USA halten aktuell jeweils rund 23 % des FDI-Bestands in den ASEAN Ländern, der Euroraum 13,2 %, Japan 10,7 %, gefolgt von Hong Kong mit 5,3 %. Singapur fungiert als wichtiges finanzielles Drehkreuz für die ASEAN-Gruppe. Deutlich mehr als die Hälfte der FDI-Zuflüsse in die Region kommen über diesen Stadtstaat.


Im globalen Vergleich sind diese Ergebnisse interessant: Während es global seit 2012 zu einer zunehmenden Konzentration der FDI-Ströme kommt (Abeliansky et al. 2024), werfen sowohl Indien als auch ASEAN ein weiteres Investitionsnetz aus.

Die große Umschichtung, 2018 vs. 2023
Ein Vergleich der bilateralen FDI-Bestände vor der COVID-19-Pandemie (Abbildung 5) offenbart ein klares Muster: ASEAN zog überdurchschnittliche FDI-Zuflüsse aus allen Herkunftsregionen an – aus Europa, USA, China und sogar aus Lateinamerika. Indien machte ebenfalls Boden gut, vor allem bei europäischen und lateinamerikanischen Investoren, doch chinesische Zuflüsse gingen zwischen 2018 und 2023 zurück. FDI-Zuflüsse aus ASEAN-Staaten stiegen ebenfalls deutlich an.


Schlussfolgerungen aus europäischer Sicht

  1. Die „Connector countries“ im Blick behalten. Länder, die mit beiden Lagern handeln und investieren, wirken als Stoßdämpfer. ASEAN könnte als Beispiel dienen.
  2. Block-Szenarien simulieren. FDI-Stopps oder Umleitungen sollten in makro-finanzielle Modelle einfließen. Verschiedene Szenarien der Fragmentierung von FDI-Strömen (wie in Abeliansky et al. 2024) helfen, Risiken besser einzuschätzen.
  3. Weiter engagieren. Der Euroraum ist bereits Indiens größter Investor und in ASEAN die Nummer drei. Nachhaltige, transparente Investitionsstandards im Ausland zu fördern, stärkt Europas Position in diesen Teilen der Welt.

Geopolitische Probleme sind gekommen, um zu bleiben – zumindest vorerst. Doch die Erfahrungen aus Indien und ASEAN zeigen: Länder können im gegenwärtigen Umfeld geopolitischer Konflikte eine stabilisierende Funktion – jene der „connector countries“ – haben. Mexiko wäre ein weiteres Beispiel. Das Land zog zunehmend FDI-Zuflüsse aus China an, potenziell, um die Zölle der USA gegenüber China zu umgehen. Für Europa könnte das bedeuten, von bequemen Gewohnheiten, wie der wirtschaftlich engen Zusammenarbeit mit den USA vorerst Abstand zu nehmen und sich verstärkt an anderen Ländern zu orientieren. Auf diese Weise könnten die Möglichkeiten einer Krise genutzt werden. Oder man sieht China dabei zu.

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.