Unsichere Zeiten – eine besondere Herausforderung für die CESEE-Volkswirtschaften?
Navigating uncertainty: economic and financial vulnerabilities in CESEE (13.06.2025)Please find the english version below.
Nico Petz, Julia Wörz
Leiden die kleinen und offenen Volkswirtschaften Zentral-, Ost- und Südosteuropas (CESEE) besonders unter erhöhten globalen Unsicherheiten? Unsere Analyse legt dies nahe: Wir finden Belege dafür, dass globale Unsicherheiten das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern deutlich dämpfen und die Anfälligkeit der Finanzmärkte erhöhen. Die Inflation ist hingegen tendenziell stärker von inländischer Unsicherheit getrieben. Diese Erkenntnis unterstreicht, wie wichtig es ist, dass Notenbanken unabhängig sind, um das Inflationsziel ohne politischen Einfluss verfolgen zu können.
World Uncertainty Index
Für unsere Analyse haben wir den von Ahir, Bloom und Furceri (2022) entwickelten World Uncertainty Index (WUI) verwendet. Dieser Index zur Quantifizierung der weltweiten Unsicherheit basiert auf den Experteneinschätzungen in den Länderberichten der Economist Intelligence Unit. Der Verlauf des WUI in den vergangenen 25 Jahre zeigt eindeutig nach oben (siehe Grafik 1). Er spiegelt damit eine zunehmend von wirtschaftlichen Verwerfungen und geopolitischen Schocks geprägte Welt wider. Einige dieser Ereignisse haben spürbare wirtschaftliche Folgen, und zwar vor allem für jene Länder, die stark in den Welthandel, in internationale Lieferketten und in den globalen Finanzmärkten integriert sind. Es liegt auf der Hand, dass solche Volkswirtschaften tendenziell sensibler auf globale Stimmungsumschwünge und externe Schocks reagieren.

Quelle: Ahir, Bloom and Furceri (2022).
Für die CESEE-Länder bedeutet dies: Nachdem sie wirtschaftlich aufgeholt haben und nun stärker in die Weltwirtschaft integriert sind, hat auch ihre Exponiertheit gegenüber globalen Unsicherheiten zugenommen. Aus diesem Grund ist es wichtig zu verstehen, wie sich externe Schocks auf die Wirtschaftsleistung der Region auswirken.
Was bedeutet Unsicherheit für die Wirtschaft?
Um aus politischer Sicht wirksam auf zunehmende Unsicherheit reagieren zu können, braucht es genaue Kenntnis darüber, wie die zugrundeliegenden Mechanismen funktionieren. Grob gesprochen wirken sich Unsicherheiten über zwei Kanäle auf die Wirtschaft aus:
Über die Realwirtschaft: Wenn die wirtschaftlichen Aussichten zunehmend unsicher werden, nimmt das Verbrauchervertrauen tendenziell ab. Die Haushalte reagieren, indem sie mehr sparen und weniger ausgeben. Unternehmen schieben geplante Investitionen auf oder streichen sie überhaupt, weil ihre Risikobereitschaft abnimmt und künftige Erträge schwieriger vorhersehbar werden.
Über den Finanzmarkt: Erhöhte Unsicherheit kann dazu führen, dass sich die Stimmung der Anleger:innen plötzlich ändert und die Prämien für wahrgenommenen Risiken ansteigen. Durch diese Dynamik verläuft die Kursentwicklung an den Börsen oft volatiler, und die Renditen langfristiger Staatsanleihen steigen. Das passiert, wenn Anleger:innen eine höhere Vergütung für die Übernahme von Risiken verlangen.
Was Unsicherheit für CESEE bedeutet – eine empirische Analyse
Wir nutzen den WUI und untersuchen die Auswirkungen von Unsicherheit auf die CESEE-Volkswirtschaften in einem empirischen Modell. Da dieser Index auf Länderebene verfügbar ist, können wir die Effekte globaler und inländischer Unsicherheiten getrennt voneinander analysieren. Um ein Bild der gesamten Region zu erhalten, kombinieren wir die Daten für die einzelnen CESEE-Länder. Dabei wird den größeren Volkswirtschaften gemäß ihrem Anteil an der gesamten Wirtschaftsleistung der Region1 ein höheres Gewicht zugemessen. Wesentlich ist, dass wir zusätzlich dazu andere Faktoren berücksichtigen, die das Ergebnis potenziell beeinflussen: die Handelsoffenheit der CESEE-Region, globale Ölpreise und Unsicherheiten im Zusammenhang mit Pandemien.
Wie die CESEE-Volkswirtschaften in unserem Modell auf einen plötzlichen Anstieg der Unsicherheit auf globaler Ebene und im Inland (rot bzw. blau) reagieren, ist in Grafik 2 dargestellt.2 Der Analysezeitraum umfasst fünf Jahre (20 Quartale). Die Linien in Fettdruck zeigen die geschätzte Median-Reaktion an, der schattierte Bereich das Konfidenzintervall. Wir zeigen die Reaktionen von finanziellen sowie realwirtschaftlichen Variablen. Erstere inkludiert den Renditeabstand zwischen langfristigen inländischen und US-Staatsanleihen sowie die Volatilität des Aktienmarktes. Zweitere beinhaltet das reale BIP-Wachstum und die Inflation.


Quelle: Eurostat, Macrobond, FRED-MD-Datenbanken, eigene Berechnungen.
Anmerkung: Impulsantworten auf einen Schock der inländischen (blau) und globalen (rot) Unsicherheit um 1 Standardabweichung. Die Linien in Fettdruck entsprechen dem A-posteriori-Median, die schattierten Bereiche den 68% Glaubwürdigkeitsintervallen. Das bayesianische vektorautoregressive Modell wird auf Grundlage vierteljährlicher Daten von Q1 2003 bis Q1 2025 mit zwei Verzögerungen (Lags) geschätzt. Es wird durch eine Cholesky-Zerlegung ermittelt, wobei folgende Variablenreihenfolge gegeben ist: globaler Index für pandemiebedingte Unsicherheit, globale Unsicherheit, globale Ölpreise, inländische Unsicherheit, Handelsoffenheit, reales BIP-Wachstum, Inflation, Renditeabstand zwischen inländischen und US-amerikanischen 10-jährigen Staatsanleihen und Aktienmarktvolatilität, jeweils gemessen als wöchentliche Standardabweichung über das Quartal. Achsenbeschriftungen: pp = Prozentpunkte; pp yoy = Jahreswachstumsrate in Prozentpunkten, sd = Standardabweichung.
Es zeigt sich, dass sich globale Unsicherheiten und Unsicherheiten, die im Inland entstehen, unterschiedlich auf die Wirtschaft in CESEE auswirken. So löst ein globaler Unsicherheitsschock unmittelbar Anzeichen von Stress auf dem CESEE-Finanzmarkt aus: Innerhalb der ersten drei Quartale steigt der Renditeabstand um ca. 0,25 Prozentpunkte an. Auch die Volatilität an den Aktienmärkten nimmt stark zu, allerdings legt sich dieser Effekt innerhalb von sechs Monaten wieder. Noch deutlichere Auswirkungen sehen wir in der Realwirtschaft. Drei Quartale nach dem Schock sinkt das BIP-Wachstum um bis zu 0,75 Prozentpunkte, was den Höhepunkt des Abschwungs markiert. Die Reaktion der Inflationsrate fällt moderat aus, wobei sich in den drei Folgejahren weiterer Inflationsdruck aufbaut.
Die Auswirkungen von Unsicherheiten im Inland auf die finanziellen Variablen fallen schwächer aus. Während der Renditeabstand keine Effekte zeigt, beobachten wir einen vorübergehenden Anstieg der Volatilität am Aktienmarkt, in etwa im Ausmaß der Reaktion auf globale Schocks. In Bezug auf die Realwirtschaft sehen wir keine messbaren Auswirkungen auf das BIP-Wachstum. Anders die Inflation: Sie steigt bei einem inländischen Schock kräftiger und rascher an als nach einem globalen Schock. Allerdings hält dieser Effekt nur ein Jahr an.
Die unterschiedliche Reaktion der Variablen auf Unsicherheiten könnte auf die Art der vom inländischen Unsicherheitsindex erfassten Ereignisse zurückzuführen sein. So beeinflussen etwa lokale politische oder institutionelle Entwicklungen häufig die Stimmung der Anleger:innen und verursachen kurzfristige Kursbewegungen. Sie führen aber nicht notwendigerweise zu größeren Verwerfungen in der Wirtschaft. Im Gegensatz dazu lösen globale Schocks sowohl an den Finanzmärkten als auch in der Realwirtschaft, vor allem gemessen am BIP, eher stärkere Reaktionen aus.
Globale Schocks dämpfen das Wirtschaftswachstum, Unsicherheit im Inland heizt die Inflation an
Die kleinen, offenen Volkswirtschaften der CESEE-Länder sind eindeutig globalen Unsicherheiten stark ausgesetzt, was auf ihre starke Integration in die Weltwirtschaft zurückzuführen ist. Die Integration hat zu hohen Wachstumsraten, gleichzeitig aber auch zu größerer Vulnerabilität gegenüber externen Schocks beigetragen. Die aktuelle erhöhte globale Unsicherheit dürfte signifikante und dauerhafte Auswirkungen auf das BIP haben und mittelfristig Spannungen an den Finanzmärkten erhöhen. Die Inflation wird hingegen stärker von inländischen Unsicherheiten beeinflusst. Oftmals ergeben sich diese aus politischer oder institutioneller Instabilität. Dieser Faktor unterstreicht die maßgebliche Rolle unabhängiger Zentralbanken. Gerade in politisch unruhigen Zeiten ist es von größter Bedeutung, dass Zentralbanken unparteiisch bleiben, um ihre Glaubwürdigkeit und ihre Handlungsautonomie zur Sicherung der Preisstabilität zu bewahren.
1 Das CESEE-Aggregat umfasst Bulgarien, Kroatien, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Die Ergebnisse für die einzelnen Ländern sind mit jenen für das Aggregat konsistent und sind auf Anfrage erhältlich.
2 Die Schocks sind gleich einem Anstieg der Unsicherheit um 1 Standardabweichung. Ein globaler Unsicherheitsschock entspricht z. B. einem ungefähren Anstieg der Unsicherheit vom 10. zum 60. Perzentil.
Navigating uncertainty: economic and financial vulnerabilities in CESEE
Are the small and open economies in Central, Eastern and Southeastern Europe (CESEE) under strain from heightened global uncertainty? Our analysis suggests yes: Evidence indicates that global uncertainty significantly dampens economic activity in these economies and heightens financial market vulnerabilities. In contrast, inflationary pressures tend to be more strongly driven by domestic uncertainty. This highlights the importance of independent central bank decision making.
The World Uncertainty Index
We have based our analysis on the World Uncertainty Index (WUI), developed by Ahir, Bloom and Furceri (2022). This index quantifies global uncertainty and is based on expert assessments in the Economist Intelligence Unit country reports. As chart 1 shows, the WUI has shown a clear upward trend over the past 25 years, reflecting a world increasingly shaped by economic disruptions and geopolitical shocks. Some of these uncertainty-inducing events have had significant economic consequences, especially in countries that are highly integrated into global trade, deeply embedded in international supply chains and closely linked to global financial markets. Obviously, such economies tend to be more sensitive to shifts in global sentiment and external shocks.

Source: Ahir, Bloom and Furceri (2022).
As the CESEE economies have caught up economically and become more deeply integrated into the global economy, their exposure to global uncertainty has also intensified. Therefore, it is crucial to understand how external shocks affect the region’s economic performance.
How does uncertainty affect the economy?
Effective policy responses to rising uncertainty require a clear understanding of the mechanisms through which uncertainty influences the economy. Broadly speaking, uncertainty operates through two channels:
The real economy channel: When the economic outlook becomes ambiguous, consumer confidence tends to deteriorate. Households respond by saving more and spending less. At the same time, firms may increasingly delay or cancel investments as they become less willing to take risks and are more uncertain about future returns.
The financial market channel: Elevated uncertainty can trigger abrupt shifts in investor sentiment and increase the perceived risk premium. These dynamics often make stock prices more volatile and push up yields on long-term government bonds. This happens when investors demand more compensation for bearing risk.
What uncertainty shocks mean for CESEE – an empirical assessment
We make use of the WUI and investigate the effect of uncertainty on the CESEE economy in an empirical model. Since this index is available at the country level, it allows us to examine the effects of global uncertainty and domestic uncertainty separately. To get a picture of the whole region, we combine data from each CESEE country, giving more weight to larger economies based on their share of the region’s total output1. Importantly, we also make sure to include other factors that could influence the results, including CESEE’s openness to trade, world oil prices and uncertainty related to pandemics.
Chart 2 shows how – according to our model – the CESEE economies respond to a sudden rise in global (red) and domestic (blue) uncertainty over a period of five years (20 quarters)2. The bold lines represent the estimated median response, and the shaded area represents the confidence range. We show the results separately for financial variables (yield spread between domestic and US long-term bonds and stock market volatility) and real variables (real GDP growth and inflation).


Source: Eurostat, Macrobond, FRED-MD database, authors’ calculations.
Note: Impulse responses to a one standard deviation shock in domestic (blue) and global (red) uncertainty. The thick lines correspond to the posterior median, the shaded areas correspond to the 68% credible sets. The Bayesian vector autoregressive model is estimated on quarterly data from Q1 2003 to Q12025 using two lags. It is identified with a Cholesky decomposition given the following variable ordering: world pandemic uncertainty index, global uncertainty, world oil prices, domestic uncertainty, trade openness, real GDP growth, inflation, yield spread between domestic and US 10-year government bonds and stock market volatility measured as the weekly standard deviation over the quarter. Axis labels: pp = percentage points; pp yoy = percentage point year-on-year growth rate; sd = standard deviation.
Our results show that there is a difference in how global and domestic uncertainty affects CESEE economies. We find that in response to a global uncertainty shock, the CESEE financial market immediately shows signs of stress, with the yield spread rising by about 0.25 percentage points within the first three quarters. Stock market volatility also increases sharply, but this effect fades within six months. The real economy responds even more strongly: Three quarters after the shock, GDP growth dips by as much as 0.75 percentage points, marking the peak of the slowdown. Inflation responds moderately, but further upward pressure builds over the following three years.
The effects of domestic uncertainty through the financial channel are weaker. The yield spread is not affected, but we see a temporary increase in stock market volatility, similar in size to the reaction seen during global shocks. As regards the real economy, we find no measurable impact on GDP growth in response to a domestic uncertainty shock. Inflation, on the other hand, rises more strongly and more immediately than in response to a global shock, though the effect tends to last only one year.
These differences in how key variables respond to uncertainty may reflect the nature of the events captured by the domestic uncertainty index. For instance, local political or institutional developments often influence investor sentiment and short-term price movements, but they do not necessarily disrupt broader economic activity. Global shocks, by contrast, tend to trigger stronger reactions across both financial markets and the real economy, especially in terms of output.
Global shocks dampen economic growth, domestic uncertainty fuels price growth
The small and open economies of CESEE are clearly vulnerable to global uncertainty due to their deep integration into the world economy. While this integration has supported rapid economic growth, it has also increased exposure to external shocks. The ongoing heightened global uncertainty is likely to have a significant and lasting impact on GDP, with financial market stress rising over the medium term. Inflation, in contrast, is more strongly influenced by domestic uncertainty, which is often rooted in political or institutional instability. This underscores the vital role of central bank independence. In times of political turbulence, it is essential that central banks remain impartial to preserve their credibility and freedom of action to safeguard price stability.
1 The CESEE aggregate includes BG, CZ, HU, PL, RO, SI, SK and HR. The individual results for these countries are in line with the aggregate results and are available upon request.
2 The shocks are equal to a one standard deviation increase in uncertainty. For instance, a global uncertainty shock approximately corresponds to an increase in uncertainty from the 10th to the 60th percentile.