Wie sich geopolitische Spannungen auf die Migration auswirken: Am stärksten zwischen ursprünglich befreundeten Ländern

(09.12.2025)

Anna Raggl, Paul Ramskogler

Die Welt ändert sich. Krisen, Kriege und ein ganz neuer Stil der internationalen Politik führen zu nachhaltigen Umbrüchen der weltpolitischen Ordnung. Dies verändert die Ströme von Waren (Abelianski und Mayrhuber 2025) und die Ströme von Kapital (Abelianski et al. 2025). Aber verändert es auch die Migration?

So sehen wir etwa zurzeit einen sehr starken Rückgang der Migration zwischen den USA und Mexiko. Gleichzeitig scheint offensichtlich (wenn auch noch nicht quantifizierbar), dass dies mit einer außenpolitischen Entfremdung der beiden Länder korreliert. Heißt das also, dass eine weitere geopolitische Entfremdung etwa zwischen der EU und der Türkei oder dem Maghreb auch mit einer Reduktion der Migrant:innen aus diesen Regionen in die EU einhergehen wird?

Wie unsere aktuelle Studie (Raggl und Ramskogler, 2025) zeigt, dürfte die Veränderung geopolitischer Verhältnisse sehr wohl auch mit einer Veränderung der Migration einhergehen. Wichtig ist zu betonen, dass eine Kausalität vorerst nicht herstellbar ist. Beobachtbar ist aber, dass eine Vergrößerung der geopolitischen Distanz zwischen zwei Ländern mit geringeren Migrationsbewegungen zwischen diesen Ländern korrespondiert. Dabei ist der Unterschied besonders groß, wenn sich vormals befreundete Länder voneinander wegbewegen.

Die Kosten der Migration: Warum Geopolitik einen Unterschied machen kann
Wir wollen vorab einmal die Frage klären, warum Geopolitik für Migration überhaupt einen Unterschied machen sollte. Die Annahme, die unseren Überlegungen zugrunde liegt, ist, dass Migration durchaus kostspielig ist und dass geopolitische Spannungen zwischen zwei Ländern diese Kosten erhöhen. Relevant sind dabei nicht nur offensichtliche finanzielle Belastungen, wie etwa die Kosten des Umzugs, sondern auch politisch erzeugte Reibungsverluste: Wenn sich zwei Staaten feindselig gegenüberstehen oder strategisch voneinander entfernen, wird der gesamte Migrationsprozess anfälliger für Störungen.

Das kann beim Transit beginnen – etwa durch zusätzliche Kontrollen, teurere Reisewege oder unsichere Routen – und setzt sich bei den administrativen Anforderungen fort. Anerkennungsverfahren, die unter „normalen“ diplomatischen Bedingungen schon komplex sind, können im geopolitischen Konfliktfall bewusst verlangsamt, restriktiver ausgelegt oder politisiert werden. Visavergaben werden nicht nur umständlicher, sondern häufig auch unberechenbarer, weil sicherheitspolitische Erwägungen plötzlich stärker wiegen als arbeitsmarkt- oder demografiepolitische Interessen. Auch bürokratische Kleinigkeiten wie die Beschaffung von Dokumenten oder die Kommunikation zwischen Behörden können sich erheblich verkomplizieren, wenn Kooperation durch Misstrauen ersetzt wird.

Geopolitische Distanz reduziert Migration
Wie viele Menschen zwischen zwei Ländern migrieren, ist beobachtbar, zumindest in Form von Schätzungen wie sie etwa Guy Abel veröffentlicht (siehe etwa hier). Aber kann man geopolitische Distanz auch in Zahlen messen? Oft ist es offensichtlich, wenn Länder sich voneinander entfremden. Die meisten Entwicklungen sind aber marginal. Und die weitaus meisten Entwicklungen betreffen Länderpaare über deren geopolitisches Verhältnis vielleicht überhaupt noch nie irgendjemand nachgedacht hat (wie ist etwa die geopolitische Distanz zwischen Französisch-Guayana und Bhutan?). Um auch die Distanz zwischen solchen Ländern quantifizieren zu können, benutzen wir die IPD (Ideal Point Distance). Dies ist eine Maßzahl, die Unterschiede im Abstimmungsverhalten in der UN-Hauptversammlung quantifiziert. Je höher die IPD, umso größer die Distanz zwischen zwei Ländern.

Diese Maßzahl ist kritisierbar, unvollständig und variiert deutlich weniger als dies angesichts der komplexen Realität angemessen wäre. Wie so oft in den Wirtschaftswissenschaften ist sie aber auch das einzige vernünftige Maß, das wir haben. Tatsächlich ist die IPD der etablierte Maßstab in der empirischen Fragmentierungsliteratur. Und auch für die Frage der Migration ergibt sich ein charakteristisches Bild. Sobald wir für alle anderen möglichen Einflussfaktoren (wie etwa BIP und andere makroökonomische Entwicklungen, aber auch geografische Distanz, gemeinsame Sprache, Religion oder koloniale Vergangenheit etc.) kontrollieren, zeigt sich ein negativer Zusammenhang: Ein Anstieg der IPD zwischen zwei Ländern korrespondiert mit einer niedrigeren Migration zwischen ihnen. Entfernen sich Länder geopolitisch voneinander, sinkt die Migration von Menschen zwischen den beiden Ländern. Im globalen Schnitt führt ein Anstieg der IPD um eine Einheit zu einem Rückgang der Migration um durchschnittlich 13 %. Eine Einheit entspricht in etwa der Verringerung der geopolitischen Distanz zwischen China und den USA zwischen den mittleren 1990er- und 2010er-Jahren, also in der Zeit als China sich verstärkt für den Welthandel öffnete und in der Folge auch der WTO beitrat. Sollte sich künftig ein klar abgegrenzter westlicher Block – bestehend aus den USA, Europa und den nichteuropäischen G7-Ländern – herausbilden, könnte eine um eine (Länderpaar-spezifische) Standardabweichung höhere IPD gegenüber nicht-westlichen Partnern die Immigration in die EU in einem Zeitraum von fünf Jahren um rund 500.000 Personen vermindern.

Grafik 1: Erhöhte geopolitische Distanz verringert Migration

Quelle: Raggl und Ramskogler (2025).

Je näher einander Länder sind, umso stärker der Effekt
Doch die negative Gesamtbeziehung erzählt nicht alles. Sie verschleiert nämlich, dass sich Veränderungen der geopolitischen Distanz nicht für alle Länderpaare gleich stark auswirken. Tatsächlich zeigt sich, dass gerade bei Ländern, die einander ursprünglich nahestanden, Änderungen in der IPD mit besonders deutlichen Rückgängen der Migration einhergehen. Die politische Distanz wirkt hier also nicht linear, sondern disproportional: Wenn zwei traditionell kooperative Staaten auf einmal auseinanderdriften, schlägt sich das in den Migrationsströmen stärker nieder, als wenn ohnehin distanzierte oder rivalisierende Länder weiter auseinanderdriften. Dies könnte z. B. daran liegen, dass zwischen geopolitisch nahen Ländern etablierte Prozesse existieren (von offiziellen Transitrouten bis zu gegenseitigen Anerkennungsabkommen), die bei zunehmender Distanz brüchiger werden.

Grafik 2: Änderungen der geopolitischen Distanz treffen „Freunde“ am stärksten

Quelle: Raggl und Ramskogler (2025).

Schlussfolgerung
Unsere Analyse zeigt, dass eine zunehmende geopolitische Distanz zweier Länder von einer sinkenden Migration zwischen ihnen begleitet wird. Sollte die Zukunft tatsächlich neue geopolitische Blöcke hervorbringen, liegt es daher nahe, dass diese sich nicht nur auf Handel und Kapitalflüsse auswirken. Auch die Migration kann durch die sich ändernden geopolitischen Realitäten fundamental verändert werden. Die möglichen Auswirkungen beschränken sich nicht auf das Ausmaß der Migration, sondern betreffen auch die Herkunftslandstruktur, und damit potenziell das Alter und die Qualifikation der Migrant:innen. So könnte etwa eine in Zukunft stärker geopolitisch fragmentierte Welt die Migration nach Europa durchaus dämpfen, wenn man von anderen Migrationsgründen, wie etwa dem Klimawandel, absieht.

Weitere grundlegende Daten, interaktive Grafiken und Publikationen zu diesem Thema, sowie zum allgemeinen Thema „(De)Globalisierung“, gibt es im GloMo-Dashboard.

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.