Was treibt die Inflation in Österreich – Energieimporte, Profite oder Löhne?

19.09.2023

Die Frage nach den Ursachen der hohen Inflation in Österreich ist derzeit Gegenstand heftiger Diskussionen. Die starken Preisanstiege von Energieimporten stehen als Auslöser außer Streit. Die Geister scheiden sich jedoch bei der Frage, in welchem Ausmaß die Inflation zusätzlich durch Unternehmensgewinne und Lohnanstiege getrieben wurde. Wir beantworten diese Frage mit einer neuartigen von uns entwickelten Methode. Dabei sehen wir uns an, wie sich die Produktionskosten – einschließlich der Unternehmensgewinne – der von den österreichischen Haushalten konsumierten Güter und Dienstleistungen zusammensetzen. Wir berücksichtigen die Produktionskosten der inländischen Produktion wie auch Importe.[1]

Inflation nach Importpreisschock zunehmend von Zweitrundeneffekten geprägt

Wir bedauern. Ihre Browserversion wird leider nicht unterstützt. Zur Ansicht dieser Funktion benötigen Sie eine neuere Browserversion oder einen anderen Browser.


Unsere Ergebnisse zeigen, dass der ab Mitte 2021 zu beobachtende Inflationsanstieg zunächst durch stark gestiegene Importpreise – insbesondere für Energie und verarbeitete Güter – ausgelöst wurde. Seit Mitte des Jahres 2022 sind aber zunehmend Zweitrundeneffekte zu beobachten: Steigende Unternehmensgewinne verstärkten den Preisauftrieb – zuerst hauptsächlich im Energiesektor, später aber auch in anderen Wirtschaftsbereichen. Weitere Zweitrundeneffekte in Gestalt stärkerer Lohnzuwächse sind ab dem Jahreswechsel 2022/23 erkennbar. Im zweiten Quartal 2023 waren die Löhne – genauer die Lohnstückkosten – der bedeutendste Inflationstreiber. Bis Ende 2024 ist eine anhaltend hohe Rolle der Löhne für die Inflation zu erwarten.

Der Auslöser: Importpreise treiben Inflationsanstieg in den Jahren 2021 und 2022

Der Inflationsanstieg im Jahr 2021 ist eindeutig auf Importe zurückzuführen. Zu den Preisanstiegen als Folge der durch die Pandemie ausgelösten internationalen Lieferengpässe gesellten sich ab Ende 2021 die Energieimporte als wichtigster Inflationstreiber hinzu. Im Jahr 2022 stieg die österreichische Inflation auf 8,6 %; mehr als ein Drittel ist auf Energieimporte zurückzuführen, ein weiteres Viertel auf sonstige Importe. Im ersten Halbjahr 2023 nahm der Inflationsbeitrag der Importe ab. Lediglich Importe von Lebensmitteln und von verarbeiteten Gütern übten noch nennenswerten Inflationsdruck aus. Energieimporte wirkten in diesem Zeitraum leicht inflationsdämpfend.

Zweitrundeneffekte zum Ersten: Unternehmensgewinne verstärken den Preisauftrieb ab Mitte 2022

Im Laufe des Jahres 2022 sorgte der Anstieg der Unternehmensgewinne für zusätzlichen Preisdruck. Hierfür ist vor allem der Energiesektor verantwortlich. Dessen Gewinne folgten dabei den Anstiegen der Großhandelspreise für Energie mit einem Jahr Verzögerung, was sich durch lange Bindungsfristen in den Lieferverträgen für Strom, Gas und Fernwärme erklären lässt. Dadurch wurden Preissteigerungen erst allmählich an die Konsument:innen weitergegeben. Im vierten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 waren zunehmende Gewinnbeiträge in anderen Sektoren – vor allem Gastronomie und Hotellerie, aber auch Finanz- und Versicherungsdienstleistungen – zu beobachten. So erklärten die Gewinne in der Gastronomie und Hotellerie im ersten Quartal 2023 ein Viertel des Verbraucherpreisanstiegs. Im Durchschnitt erklärten die Unternehmensgewinne knapp ein Viertel der Jahresinflation 2022, wobei dieser Anteil im zweiten Halbjahr 2022 anstieg. Im ersten Quartal 2023 erreichte der Inflationsbeitrag der Gewinne mit 40 % seinen Höchststand, bevor er im zweiten Quartal 2023 konjunkturbedingt stark zurückging.

Zweitrundeneffekte zum Zweiten: Löhne im ersten Halbjahr 2023 wichtigster Preistreiber

Von den Löhnen ging im Jahr 2022 aufgrund des in Österreich üblichen verzögerten Lohnanpassungsprozesses kein nennenswerter Preisdruck aus. Die Lohnstückkosten erklärten lediglich 13 % der Inflation. Wenn sich die Löhne gleich stark wie die anderen Kostenkomponenten entwickeln, dann liegt der Beitrag der Lohnkosten an der Inflation knapp ein Viertel (27 %). Da die Löhne aber erst im Nachhinein an die Inflation angepasst werden, war ihr Anteil im Jahr 2022 nur halb so hoch. Das änderte sich aber im ersten Halbjahr 2023: Die im Vergleich zum Euroraum höheren Kollektivvertragsabschlüsse führten zu deutlich steigenden Lohnbeiträgen. Im ersten Quartal 2023 lag der Lohnbeitrag bei 38 %. Im zweiten Quartal waren die Löhne mit einem Beitrag von mehr als zwei Dritteln der bestimmende Inflationstreiber.

Auch relevant: Hilfsmaßnahmen der Regierung beeinflussen die Teuerung

Zusätzlicher Preisdruck kam im Jahr 2022 vom Auslaufen der im Zuge der Coronapandemie durchgeführten Mehrwertsteuersenkung für Gastronomie, Hotellerie und Kultur (blaue Balken in der Grafik). Die Senkungen von energiebezogenen Abgaben glichen diesen preistreibenden Effekt in den ersten drei Quartalen von 2022 nicht aus. Die Strompreisbremse dämpft die Inflation seit Dezember 2022.

Inflation, quo vadis? Bis 2024 wichtige Rolle der Löhne für die Inflation zu erwarten

Was können wir aus unserer Analyse für die zukünftige Entwicklung der Inflation lernen? Für die zweite Jahreshälfte 2023 und das Jahr 2024 rechnen wir mit einer anhaltend starken Rolle der Löhne für die Inflation. Die Ursache dafür liegt wenig überraschend in der verzögerten Inflationsanpassung der Löhne.

Die Lohndynamik lässt sich gut anhand der Entwicklung der Tariflöhne – also der von den Gewerkschaften mit den Arbeitgebern bzw. Arbeitgeberverbänden ausverhandelten Löhne – zeigen: Deren Wachstum hat im ersten Halbjahr 2023 deutlich zugenommen und fiel mit 7,2 % doppelt so hoch aus wie im Jahr 2022 (3,5 %). Für das zweite Halbjahr 2023 ist auf Basis der bereits vorliegenden Lohnabschlüsse ein Tariflohnwachstum von 8,2 % zu erwarten. Auch für 2024 ist von im historischen Vergleich hohen Lohnabschlüssen auszugehen. Darüber hinaus kann aufgrund der aktuellen Arbeitskräfteknappheit erwartet werden, dass viele Unternehmen ihre Beschäftigung trotz der aktuell schwachen Geschäftslage halten werden, was die Lohnstückkosten weiter in die Höhe treibt.

Ein weiterer Kostenfaktor für die Unternehmen ist der Umstand, dass sich erforderliche Ersatzinvestitionen zur Erhaltung des Kapitalstocks – die „Abschreibungen“ – aufgrund der hohen Inflation weiter verteuern. Die Gewinne werden dadurch unter Druck kommen. Der importseitige Preisdruck wird sich aufgrund der schwachen internationalen Konjunktur hingegen weiter abschwächen und die Inflation dämpfen.

Das genaue Ausmaß der Inflationsentwicklung hängt damit entscheidend von der weiteren Entwicklung der Zweitrundeneffekte ab. Für einen schnellen Rückgang der Inflation sind sowohl Augenmaß bei den Lohnverhandlungen wie auch eine moderate Entwicklung der Gewinnspannen entscheidende Faktoren.

[1] Hierfür wird das Wachstum des Harmonisierten Verbraucherpreisindex durch das Wachstum der verschiedenen Kostenkomponenten (Löhne und Gehälter, Gewinne, Abschreibungen, Produktionsabgaben minus Subventionen sowie Importe) je realer Konsumguteinheit erklärt. Dazu werden Daten aus der quartalsweisen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und der Außenhandelsstatistik mit detaillierten Daten über Vorleistungsverflechtungen aus Input-Output-Tabellen verknüpft. Mit dieser Methode kann die Inflation bis zur Ebene der COICOP-Dreisteller (45 Güter bzw. Dienstleistungskategorien) im Detail analysiert werden.