Safety first – warum makroprudenzielle Aufsicht alle betrifft
16.07.2025Stefan W. Schmitz
Wer die OeNB-Blogs über die KIM-V, den sektoralen SyRP auf Gewerbeimmobilienkredite oder den AZKP verfolgt hat, ist direkt im „Tun“ der makroprudenziellen Aufsicht gelandet. Doch warum braucht es die makroprudenzielle Aufsicht überhaupt? Was ist ihre Aufgabe und wer trägt Verantwortung? Wie erfolgreich stärkt sie den österreichischen Finanzmarkt und damit die heimische Wirtschaft? Antworten bietet dieser Blog.
Makroprudenzielle Aufsicht wirkt: Österreich hat einen der stabilsten Finanzmärkte
Gleich vorweg: Der Finanzmarkt Österreich zählt seit 2018 zu den stabilsten weltweit. Standard & Poor’s hat das österreichische Finanzsystem bei seinem letzten Review im Rahmen des Banking Industry Country Risk Assessment (BICRA) im August 2024 wieder in die Klasse 2 eingestuft (wobei kein nationales Bankensystem in die BICRA-Klasse 1 fällt). Die makroprudenzielle Aufsicht trägt dazu maßgeblich bei, indem sie Risiken im Finanzsystem frühzeitig erkennt und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen entwickelt. Das wirkt sich positiv auf die Bewertung des Finanzmarkts und damit auch auf das Rating jeder einzelnen Bank aus und führt zu niedrigeren Finanzierungskosten der Banken. Dadurch profitiert auch die Realwirtschaft, da besonders in Krisenzeiten auch ihre Refinanzierungskosten günstiger bleiben.
Die Finanzkrise von 2008 zeigte, dass es für die Stabilität des Finanzsystems nicht ausreicht, nur die Zahlungsfähigkeit einzelner Akteur:innen (mikroprudenzielle Aufsicht) zu überwachen und eine auf Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik zu haben. Stattdessen ist eine ganzheitliche Betrachtung des gesamten Finanzsystems erforderlich. Die Einführung der makroprudenziellen Aufsicht im Jahr 2014 war eine richtige und wichtige Lehre aus der Krise.
Rundum stabil: das Ziel der makroprudenziellen Aufsicht
Das übergeordnete Ziel der makroprudenziellen Aufsicht ist die Sicherung der Finanzmarktstabilität durch die Reduzierung systemweit wirkender Risiken. Stabil ist ein Finanzsystem dann, wenn es auch unter Stressbedingungen weiterhin in der Lage ist, Finanzmittel dort hinzulenken, wo sie den größten volkswirtschaftlichen Nutzen erzielen. Nur so können Bürger:innen sowie Unternehmen darauf vertrauen, verlässlich und effizient mit Finanzdienstleistungen versorgt zu werden – eine zentrale Voraussetzung für den nachhaltigen Wohlstand in einem Land.
Das Finanzsystem muss auch in der Lage sein, erhebliche Schocks zu verkraften – ohne staatliche Unterstützung, etwa durch Bankenrettungspakete. Die makroprudenzielle Aufsicht leistet dabei einen wichtigen Beitrag. Ihre Maßnahmen reduzieren sowohl die Wahrscheinlichkeit, dass eine Finanzkrise eintritt, als auch die Kosten einer solchen Krise für die Gesellschaft. Marktaustritte von Instituten sind kein Anzeichen mangelnder Finanzmarktstabilität, vielmehr sind sie Ausdruck eines funktionierenden Marktprozesses. Erst wenn ein Marktaustritt einer großen Bank weitreichende negative Auswirkungen auf das Vertrauen in das Finanzsystem hat, ergeben sich Probleme für die Finanzmarktstabilität. Der Marktaustritt muss dann von spezifischen Abwicklungsmaßnahmen begleitet werden, um die Finanzmarktstabilität sicherzustellen.
Finanzkrisen verursachten in der Vergangenheit sehr hohe Kosten
Vergangene Krisen in mit Österreich vergleichbaren Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) führten zu erheblichen Wohlfahrtsverlusten für die Volkwirtschaften sowie zu hohen Kosten für die Steuerzahler:innen. Die Verluste werden dabei im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen. Im Durchschnitt belief sich der Wohlfahrtsverlust in den vergangenen 34 systemischen Bankenkrisen auf nahezu die Hälfte des jeweiligen nationalen BIP, wie Daten aus der „Systemic Crisis Database“ des IWF (Internationaler Währungsfonds) zeigen. Vor allem Krisen, die mit übermäßigem Kreditwachstum einhergingen, haben hohe Verluste und Kosten verursacht. Entsprechend waren Bankenrettungspakete in der Vergangenheit mit erheblichen Kosten verbunden: Der Wohlfahrtsverlust infolge von Krisen, die auf exzessives Kreditwachstum zurückgingen, betrug 49 % des BIP, während die fiskalischen Kosten solcher Krisen bei 15 % des BIP lagen.
Welche Institutionen sind für die Systemaufsicht in Österreich verantwortlich? Welche Rolle spielt die Europäische Zentralbank?
In Österreich spielt das Finanzmarktstabilitätsgremium (FMSG) eine zentrale Rolle in der makroprudenziellen Aufsicht. Es setzt sich aus Vertreter:innen des Finanzministeriums, der Nationalbank und der Finanzmarktaufsicht sowie aus Expert:innen des Fiskalrats zusammen. Laut Nationalbankgesetz ist die Reduktion von Systemrisiken in Österreich eine zentrale gesetzliche Aufgabe der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Die OeNB erstellt Analysen über mögliche systemische Risiken, die das gesamte Finanzsystem treffen können, und schlägt dem FMSG gegebenenfalls Maßnahmen vor. Wie das Prozedere genau abläuft, kann man hier nachlesen.
Die FMA ist für die behördlichen Agenden der makroprudenziellen Aufsicht zuständig. Mit der Gründung der makroprudenziellen Aufsicht im Jahr 2014 wurden Entscheidungsrechte in den Behördenbereich verlagert, die zuvor ausschließlich dem Parlament vorbehalten waren. Dazu zählen etwa Maßnahmen wie höhere Kapitalanforderungen für Banken. Daher sind im Gesetz strenge Bedingungen definiert, unter denen die makroprudenzielle Aufsicht von diesen Rechten Gebrauch machen darf. Dazu gehört der Nachweis, dass Systemrisiken mit schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf das Finanzsystem und die Realwirtschaft vorliegen. Zudem bedürfen makroprudenzielle Maßnahmen grundsätzlich der Zustimmung des Finanzministers. Das FMSG ist dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig. Darüber hinaus setzt die makroprudenzielle Aufsicht auf Transparenz ihrer Methoden und Entscheidungen.
Die makroprudenzielle Aufsicht ist ein nationales Mandat, während die Geldpolitik und die mikroprudenzielle Bankenaufsicht weitgehend vergemeinschaftet sind. Die bedeutenden Institute unterliegen der direkten Aufsicht durch die EZB, wobei OeNB und FMA im Rahmen von Joint Supervisory Teams eng mit der EZB kooperieren. Die Beaufsichtigung der weniger bedeutenden Kreditinstitute erfolgt durch die nationalen Aufsichtsinstitutionen FMA und OeNB. Die EZB gibt dafür im Sinne der „Oversight“ einen einheitlichen Rahmen vor.
Das nationale makroprudenzielle Mandat wurde geschaffen, um auf länderspezifische Finanzzyklen bei einheitlicher Geldpolitik reagieren zu können. Wenn nationale Behörden im Euroraum Maßnahmen zum Schutz des Finanzsystems treffen – z. B. durch zusätzliche makroprudenzielle Kapitalanforderungen für Banken –, kann die EZB diese Regeln noch verschärfen, aber nicht abschwächen. Diese sogenannte Top-up-Befugnis soll verhindern, dass einzelne Länder trotz systemischer Risiken untätig bleiben. Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) ist der Watchdog auf EU-Ebene und spielt eine zentrale koordinierende und beratende Rolle in der makroprudenziellen Aufsicht.
Die Stärke der makroprudenziellen Aufsicht in Österreich: ein integrierter Ansatz
Die OeNB analysiert systemische Risiken umfassend. Ziel ist es, die Kosten von Bankenkrisen innerhalb des Bankensektors zu belassen und nicht auf Steuerzahler:innen abzuwälzen. Dazu dient der integrierte Ansatz. Er sorgt für die Konsistenz zwischen der makroprudenziellen Aufsicht, der Abwicklung und der Einlagensicherungsaufsicht. Dieser Ansatz integriert in der Praxis die Methoden und Erkenntnisse aus diesen drei Bereichen. Das stellt sicher, dass alle Banken, die im Krisenfall systemrelevant sind, schon lange davor als systemrelevant erkannt werden. Sie werden gezielt durch einen Kapitalpuffer gestärkt, sodass sie krisenfester sind und ihre Abwicklung im Ernstfall besser funktioniert. Zudem bereitet eine weitere makroprudenzielle Maßnahme, nämlich der Systemrisikopuffer, das Bankensystem darauf vor, die möglichen Kosten eines Marktaustritts tragen zu können. Das stellt sicher, dass nicht wieder die öffentliche Hand diese Kosten tragen und Banken retten muss. Insgesamt ermöglicht die integrierte makroprudenzielle Aufsicht, dass das System auch potenzielle Marktaustritte von Banken ohne Kosten für die öffentliche Hand oder die Realwirtschaft verkraften kann. Dies stärkt die Marktdisziplin.
Die makroprudenzielle Aufsicht hält das systemische Risiko dauerhaft gering
Seit ihrer Einführung im Jahr 2014 zeigt sich die makroprudenzielle Aufsicht in Österreich als überaus effektiv. Das spiegelt sich auch im guten Rating des Finanzsektors wider. Um dieses Niveau auch künftig zu halten, gibt die Aufsicht laufend Empfehlungen zur Risikobegrenzung ab und passt ihre Maßnahmen an aktuelle Entwicklungen an. Informationen zum Ablauf finden sich hier. Makroprudenzielle Entscheidungen und aktuelle Empfehlungen werden auf der FMSG-Website veröffentlicht. Diese Maßnahmen sind nicht nur effektiv, sondern auch mit geringen Nebeneffekten für die Gesellschaft verbunden.
Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.